“Es ist kaum zu fassen”, sage ich zu Regula. Gerade noch war ich in Oregon und habe mich auf den Winter vorbereitet, und nun sitze ich hier am blauen Meer und bestaune den Blick über die Ventana Bay.
Der Oktober in Oregon fühlte sich dieses Jahr unendlich lang an. Der Wahlkampf schien kein Ende zu nehmen. Der Himmel blieb blau. Es war viel zu trocken und warm. Die Blätter der wenigen Laubbäume wurden braun und fielen ab.
Dann war November und Donald Trump verlor die Wahl mit 5 Millionen weniger Stimmen als Joe Biden. Aber leider verloren die Republikaner nicht im Senat. Vier Jahre ohne politischen Fortschritt starrten uns ins Gesicht. Trumps sittenloser Anwalt Rudy Giuliani gab eine Pressekonferenz, verwechselte aber das exklusive Four Seasons Hotel mit einer Gärtnerei desselben Namens. Anscheinend hatte ein Praktikant etwas verwechselt. Der Ort lag zwischen einem Bestattungsinstitut und einem Sex Shop, was perfekt die vier Jahre Trump Regime illustrierte und ein böses Omen für die Zukunft der USA war.
Nun waren wir nach 3000 Kilometern über Landstraßen wieder in unserem Haus auf der Baja Halbinsel in Mexiko. Wie immer fuhren wir die Strecke mit unserem Camper, vollgestopft mit Dingen, die man in USA leicht aber in Mexiko nicht kriegt. Der Kühlschrank barst vor Greyerzer Käse und Prosecco. Zudem brachten wir neue Lampen, eine Espresso Maschine von Gaggia und alles was verwöhnte Bewohner der westlichen Welt halt so brauchen um glücklich zu sein.
Der mexikanische Zollbeamte machte einen kurzen Versuch dem Gesetz Folge zu leisten, war dann aber doch zu müde um unseren Wagen zu durchsuchen. Mutwillig machte er die Türe unseres Campers wieder zu und ließ uns laufen. Wir hatten kurz vorher unsere mexikanische Niederlassung erhalten und so brauchten wir nur noch den Einreise-Stempel. Nun dürfen wir in Mexiko wohnen solange wir wollen.
Bei Militärkontrollen unterwegs fragen uns junge Burschen mit großen Maschinen-Pistolen woher wir kommen und wohin wir gehen. Aber sie sind nicht gewillt, unser Auto nach Waffen, Drogen oder Bargeld abzusuchen. Meist öffneten sie ein Kästchen, sahen nur Bücher und Proviant und ließen uns weiterfahren. Auf der Route nach Süden gibt es nur wenige Orte. Wir kampieren immer wild entlang der Straße, meist irgendwo am Meer. Wir haben seit Jahren bereits unsere Plätzchen auskundschaftet und die Strecke eingeteilt. Die ganze Halbinsel besteht nur aus Wüstenlandschaften voller Kakteen und schroffen Berglandschaften. Manche Strecken sind komplett öde und wie verbrannt, andere Gebiete voller Büsche und sehr vielfältig in der Vegetation.
Unser Haus steht am Meer südlich von LaPaz, der Hauptstadt der Baja Sur. Wir sind in El Sargento, einem kleinen Fischer-Pueblo gleich neben LaVentana, der Hochburg der Kite Surfer, zuhause. Am Stadtrand von LaVentana hört der Asphalt auf und man fühlt sich wieder in Mexiko. Noch muss man eine staubige, unbefestigte Straße überstehen, um zu unserem Haus zu gelangen. La Ventana ist mittlerweile verseucht von Gringos, und es kommen immer mehr. Wir sind natürlich auch Ausländer und reiche Gringos aber wie alle Leute denken wir, dass wir anders sind. Nach 12 Jahren hier im Ort fühlen wir uns in El Sargento genauso zuhause wie in Bend, Oregon und in der Schweiz. Zuhause ist für uns Reisefotografen ein weiter Begriff. Für mich ist seit Jahren mein Zuhause dort wo Regula ist. Nun wechseln wir zwischen Oregon und Baja Sur und irgendwann kommen wir vielleicht wieder in die Schweiz. Wir haben nun schon weit mehr Zeit in den USA verbracht als in unserem Geburtsland. Genauso wie wir keine richtigen Amerikaner sind, sind wir auch keine Mexikaner und keine richtigen Schweizer mehr. Allerdings hat uns die Schweiz am meisten geprägt, dort haben wir unsere Kindheit und Jugend verbracht.
Nun waren wir also wieder in Mexiko und wollten bis April bleiben, um dann unsere geplante Reise nach Patagonien und Bolivien zu starten. „Inshallah“, sagten wir uns, “hoffentlich geht das“. Hier in El Sargento sind wir vor dem Virus geschützt, denn wir wohnen so isoliert wie in Bend, Oregon. In den kleinen Läden tragen sie alle Masken, Partys sind dieses Jahr alle abgesagt. Abgesehen von den finanziellen Einbußen war dies ein herrliches Jahr für uns. Noch nie hatte ich so viel Zeit zuhause verbracht und gelesen, geschrieben und Bilder bearbeitet. Wir hatten endlich viel Zeit für uns und es machte Spaß. In Mexiko war es noch besser, da die ganzen Kanadier dieses Jahr nicht kommen durften – die USA war für sie unpassierbar. Viele Amerikaner kamen nicht für den Winter zum Surfen oder Überwintern aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen. Es war herrlich. Der Strand sah wieder so aus wie vor 10 Jahren, als wir hier bauten. Fast keine Touristen, weniger Allrad- Fahrzeuge und keine Familien. Unten im Resort von Mr.Bill war es wie ausgestorben.
So saßen wir auf unserem Deck und schauten über die Landschaft und das Meer. In der Ferne sahen wir die unbewohnte Insel Cerralvo. Die Wolken am Himmel färbten sich sanft rosa und begannen dann rot zu glühen. Die mexikanische Luftwaffe, sprich ein Schwarm Pelikane, flog in schöner Formation unten dem Strand entlang. Der eingeschmuggelte Prosecco schmeckte herrlich erfrischend. Nur das Rascheln der Vögel im Gebüsch und der schrille Ruf eines Spechtes war zu hören. Hier auf der Rancho Sur fühlt sich alles so an wie oben in Oregon auf der Rancho Las Hierbas del Norte, nur sind es hier nicht die Berge, die unser Panorama bestimmten, sondern das Meer, der Golf von Kalifornien.
Wir nahmen nochmal einen Schluck Prosecco und freuten uns auf die kommenden Monate in den durch Corona erzwungenen Ferien.
© Christian Heeb
2. Dezember, 2020