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Christian Heeb

Artist Photographer

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Foto Reise Baja California-Blog


Schaut man sich die Landkarte von Kalifornien an, sieht man, dass sich der US-Bundesstaat in einer langen Halbinsel nach Süden ausdehnt. Von San Diego an der US-Mexikanischen Grenze aus sind es etwa 1700 Kilometer bis nach Cabo San Lucas, dem Ferienort am untersten Ende der Wüste Halbinsel Niederkalifornien, kurz Baja genannt.

Einst gehörten Kalifornien sowie große Teile des amerikanischen Südens zu Spanien und später zum unabhängigen Mexiko. Im Vertrag von Guadalupe Hidalgo, welcher den Mexikanisch / Amerikanischen Krieg von 1846-48 beendete, verlor Mexiko seinen Anspruch auf weite Teile der heutigen USA. Somit liegt die „Baja Halbinsel“ heute in Mexiko und der Rest von Kalifornien in den USA.

Das Meer von Cortez, benannt nach dem raffgierigen Spanischen Eroberer Hernán Cortez, auch Golf von Kalifornien genannt, trennt die Halbinsel von der Zentralen Landmasse Mexikos. Die Halbinsel splitterte sich von Mexiko vor etwa 12 – 15 Millionen Jahren ab. Am nördlichen Ende des Golf rinnt heute der kümmerliche Rest des einst Wasserreichen, Colorado Flusses ins Meer. Mehrere unbewohnte und von endemischen Pflanzen bewachsene Inseln liegen in den extrem fischreichen Gewässern des Golfs. Hier tummeln sich Wale, Delphine, Walhaie, Orcas und Seehunde.

Gegenüber in den Lagunen an der Pazifikküste, bringen Grauwale ihre Jungen zur Welt. Die Begegnungen mit den kalbernden Walen dort sind einzigartig auf der Welt.

Natur und Landschafts Fotografen schätzen die Halbinsel vorwiegend wegen ihrer dramatischen Wüsten und Kaktus-Landschaften. Seit 18 Jahren haben wir ein Haus am südlichen Ende der Halbinsel, mit Blick auf den Golf von Kalifornien und die menschenleere Insel „Cerralvo“. An einem normalen Morgen, wenn ich in meinem Garten sitze, kommt eine Vielzahl von einheimischen Vögeln vorbei. Ein kleiner Vogelbrunnen, sowie unser naturbelassener Garten ziehen sie an. Es gibt etwa 200 Vogelarten auf der Baja. Bei uns sehe ich drei Arten Spechte, Bienenfresser, Kolibris, zwei Arten Wildtauben, Kaktuszaunkönig, Trällerer, Orioles, Karakara, Falke, Fregattvogel, Fink, Spatz, Spottdrossel, King Bird, Kernbeisser, um nur einige zu nennen. Die Vegetation südlich der Hauptstadt La Paz ist Subtropische Wüste. Im Garten stehen Cardon Riesen Kandelaber Kakteen (Pachycereus pringlei) zwei Arten von Pitahaya Kaktus, Elefantenbaum, Lomboy „Weißer Limberbusch (Jatropha cinerea) und Wüsten Limberbusch (Jatropha cuneata). Es gibt zwei Arten von Ocotillo, sowie wilde Berg-Agaven und eine Vielzahl an Büschen und kleinen Kakteen. Was bei uns fehlt und was man nur in der zentralen Halbinsel vorfindet, sind die Boojum Bäume, Fouquieria columnaris, welche zwar wie Kakteen aussehen, aber in der Ocotillo Familie angesiedelt sind. Sie sehen aus wie große, aus der Erde wachsende Elefantenrüssel.

Besonders schön sind die Landschaften im November nach dem Ablauf der „Regenzeit”. Die heiße Jahreszeit von Juli bis Oktober ist die Zeit der Tropenstürme, dann fällt der meiste Regen. Die feuchte Luft aus dem Süden lässt die Luftfeuchtigkeit massiv ansteigen, was dazu führt, dass die Büsche Blätter machen und die Landschaft grün ist. Manche Jahre fallen auch sporadischer Regen im Winter und auch dann ergrünt das Land. Manche Jahre fällt kein Regen und alles sieht braun, verdorrt und tot aus.

Im Ort El Sargento kann man ein Boot chartern und auf die nahe Cerralvo Insel fahren. Dort gibt es endemische Kakteenarten und unberührte Strände voller Muschelschalen. Am südlichen Ende gibt es Robben und Seehund Kolonien sowie Blaufuß-Tölpel wie auf den Galapagos Inseln.

Niederkalifornien ist riesig und viele Orte und Landschaften sind nur mit einem Allradfahrzeug zu erreichen. Große Gebiete, in den unwegsamen Bergen, kann man nur zu Fuß oder mit dem Maultier besuchen. Das wohl spannendste Gebiet für Fotografen liegt in der zentralen Wüste, nördlich des winzigen Örtchens Catavina. Dort, auf einem Hochplateau, liegt eine bizarre Landschaft, voller großer Felsen, durchwandert von Kakteen und Bochum Bäumen. Auch hier wachsen die uns vertrauten Cardon Kakteen, benannt nach dem Spanischen Name für Distel (Cardo). Anscheinend fanden die Spanischen Eroberer, dass diese großen Kandelaber Kakteen wie Disteln aussehen. Dort gibt es auch die Fächerartigen, dornigen Stauden, die Ocotillo sowie die Elefantenbäume, Organ Pipe Cactus ( Stenocereus thurberi ) , Agaven, und kleinere Cacti wie die Viejitos. Die felsige Landschaft ist ein beliebter Platz für Reisende auf dem Weg nach Süden oder Norden. Überall gibt es versteckte Stellen zum wilden Kampieren oder Picknicken. An manchen Tagen liegt am Morgen Nebel, welcher von der nahen Pazifik Küste hoch kommt und der Landschaft einen ganz eigenen, fast mystischen Charme verleiht.

Wer denkt, die Baja ist immer warm, täuscht sich, denn in den nördlichen Regionen wird es im Winter frisch und es kommt vor, dass Schnee fällt. Besonders in den Bergen der Sierra de San Pedro Martir im Norden wird es bitter kalt. Bei uns im Süden ist es in der Regel angenehm warm und auch im Januar meist um die zwanzig Grad Celsius unter Tags. In der Nacht fällt das Thermometer bis auf 12 Grad. Die Temperaturen schwanken und manche Tage sind kälter. Dann nehmen die Einheimischen die dicke Winterjacke aus dem Kasten und schlafen unter Daunendecken.

Wovon es genug gibt, sind endlose Strände und Küstenlandschaften, wo die Wüste auf Wasser trifft. Die Wüste Sonora, welche sich über weite Teile der Zentralen und nordöstlichen Halbinsel, über Teile des südwestlichen Arizona, Kalifornien und weiten Teilen der an den Golf von Kalifornien angrenzenden Mexikanischen Bundesstaaten erstreckt ist außerordentlich vielseitig. Viele der uns bekannten Kakteenarten in Arizona findet man auch hier in Mexiko. Der Kontrast von Wüste und blauem Meer ist für Fotografen wie mich unwiderstehlich.

An einem stillen Morgen, Ende April, stehe ich auf und nehme in der Dunkelheit mein Mountainbike aus dem Geräteschuppen. Noch ist nichts zu hören vom nahen Dorf und der Sternenhimmel funkelt über mir. Selbst die Vögel sind noch nicht erwacht und haben mir ihrem frühmorgendlichen Gezirpe nicht angefangen. Der Wüstenfuchs und die Wildkatze, die manchmal am Haus vorbei streichen, sind auch nicht zu sehen.

Mit der Stirnlampe am Fahrrad montiert, mein Stativ an der Stange des mit Duct Tape angeklebt, meine Kamera mit einem Objektiv in dem Rucksack verstaut, trete ich los. Es geht vorbei an einigen Nachbarhäusern. Ein Hund knurrt, als ich vorbeifahre. Dann bin ich auf dem Weg in die nahen Wüstenberge. Kakteen ragen über mir in den Himmel, stachelige Jolla Kakteen und spitze Bergagaven lauern neben dem schmalen Bike Trail. Ich kenne den Weg im Schlaf, habe ihn hundertfach gefahren, wenn ich hier Sport treibe. Manchmal treffe ich andere „Gringos, Amerikaner, Kanadier oder „Stadt“ Mexikaner. Manche blutig von Kakteen schnitten, andere gut geschützt mit Fahrradkleidung.

Es wird heller und ich stelle die Lampe ab, denn ich sehe besser ohne künstliches Licht. Das Morgengrauen naht. Schließlich komme ich an eine Stelle, wo mehrere große Cardon Kakteen stehen. Es ist ein natürlicher Aussichtspunkt mit runden Felsen. Ich stelle mein Stativ auf und warte. Nebel liegt über dem Wasser der Ventana Bay. Er liegt perfekt als dünne Schicht, nicht zu hoch, denn die Spitzen der Wüstenberge auf der vorgelagerten Cerralvo Insel ragen darüber in den Himmel. Die Sonne hat den Himmel orange gefärbt und das leichte seitliche Gegenlicht strahlt in den Nebel und trifft schließlich auch die Kakteen. Ein riesiger Kaktus ist mein Motiv. Dahinter das Meer und die Insel. Der Kaktus hat so gegen die zwölf Arme. Diese gigantischen Kakteen werden bis zu 300 Jahre alt und es dauert oft 60 oder mehr Jahre bis sie ihre ersten Arme machen. Dieser Gigant steht sehr fotogen, wie ein stummer Wächter über der Landschaft.

Nun höre ich die ersten Vögel. Es trillert ein Kardinal, der versucht, sein Weibchen zu beeindrucken. Wildtauben gurren irgendwo hinter mir. Ein Kalifornien-Schopf Tyrann (Myiarchus cinerascens ) saust an mir vorbei und setzt sich in einen Limberbush. Er neigt seinen Kopf und guckt mich an, wie es seine Art ist. Dann schwingt er sich elegant hoch und schnappt sich ein Insekt, landet wieder gekonnt auf demselben Ast.

Unten am Strand sehe ich den ersten Mexikanischen Kleinlastwagen ins Dorf rumpeln. Eine dichte Staubwolke folgt ihm und ich höre den lauten Motor bis hier hoch. Dann, nach getaner Arbeit, fahre ich nach Hause zum Morgenkaffee.

© Christian Heeb, März 2023

link zur Baja California Foto Reise 2025

Der Brief aus Oregon, Dezember 2022

Juli 2022

Das Gras auf der Rancho Las Hierbas in Bend, Oregon stand so hoch wie noch nie. Von den Hirschen sah man nur die Köpfe, welche wie in einem Puppentheater langsam über das meterhohe Gras glitten. Es war der 4. Juli, „Independence Day“. Es fühlte sich alles wie ein richtig amerikanischer Tag an: In der Stadt gab es die obligatorische, patriotische Hundeparade mit zahllosen amerikanischen Flaggen. Facebook war voll von Liebesbeteuerungen an die größte Nation der Welt und ein junger Trump-Fan erschoss in Chicago sechs Menschen und verwundete 40 weitere. „Business as usual in America“, sagte ich zu Regula, während wir den Hirschen zuschauten, wie sie sich unserem Apfelbaum gütlich taten und an den unteren Blättern knabberten.

Wir waren zurück von unserer Foto Reise in den Dakotas, wo wir nicht nur Landschaften, sondern auch Amerikaner, Indianer und Geisterstädte fotografiert hatten. Es war eine anstrengende Tour gewesen. Ich fuhr fast 10 000 Kilometer von Oregon nach North Dakota und zurück wenn man die vielen Exkusionen vor Ort mitzählt. Es war schön in den „Paha Sapa”, den Black Hills von South Dakota. Wir fotografierten Mitglieder der Lakota in den Badlands als auch bei unserem Freund Charly Juchler in seinem Tipi-Lager. Es machte Freude, alte Freunde wie den Lakota-Künstler Jim Yellowhawk und seinen Vater Jerry wiederzusehen und die Büffelherden im abgelegenen Wind Cave National Park zu fotografieren. Die meisten Teilnehmer der Foto Reise waren alte Kunden, die wir gut kannten und schätzen gelernt hatten. Ich dachte schon wieder daran doch einmal eine Reise mit kleinster Gruppe zu organisieren.

In den Dakotas, besonders in den Black Hills, wehten überall Trump-Flaggen. Wo man hinschaute las man „Go Brandon“. Man begegnet Leuten mit Trump-Hüten, Trump-Flaggen, Trump-Tattoos. Kaum ein Kleinlastwagen ohne mindestens eine Schmähung gegenüber dem liberalen Amerika.

Eines Abends saßen wir in einer Brauerei in Minot, der „Fracking Capitol“ von North Dakota. Es war noch früh und nur wenige Leute waren da, was uns sehr gelegen kam. Die Eingangstüre hatte als Türöffner zwei echte Winchester Gewehre und drinnen hingen überall ausgestopfte Tier an den Wänden. Das Bier war gut, das Essen vorzüglich. Die Dame, die uns bediente, war überfreundlich und sehr professionell. Christy, eine Kundin, die in der US-Army gedient hatte um sich ausbilden zu lassen redete davon, wo sie hinziehen wollte. Sie hätte daran gedacht, alles zu verkaufen und in Portugal zu investieren. „Die USA sind kaputt und ich will weg“, sagte sie. Sie hoffte, wenn sie einen EU-Pass kriegen könnte, dann dürften ihre nun erwachsenen Kinder auch nach Europa ziehen. Ich trank mein Bier und dachte, wie ironisch das doch alles ist. Nun wollen die Amis nach Europa ziehen. Früher war es umgekehrt, die Europäer wollten die Green Card kriegen um in den USA zu leben. Das Forbes-Magazin brachte kürzlich einen Artikel mit den beliebtesten Zielen für auswandernde Amerikaner. Portugal, Spanien und Italien waren ganz oben auf der Liste, gefolgt von Kanada, Mexiko und Costa Rica.

Mitte Juli 2022

Es herrschte Reisechaos auf der ganzen Welt. Flüge wurden gestrichen, Gepäck ging massenhaft verloren. Man hörte wahre Horror-Geschichten. Freunde wünschten uns viel Glück als wir ihnen sagten, wir würden nach Europa fliegen. Wir flogen von Los Angeles nach Zürich und waren nach der Landung binnen 15 Minuten mitsamt Gepäck im Land. Es war fast so wie in den guten alten Tagen wo Reisen bequem und einfach war.

Wir gingen Einkaufen um uns dann in das noch nicht renovierte Chalet am Grabserberg zurückzuziehen. Die Baubewilligung war noch nicht aus St. Gallen zurück, hieß es in Grabserberg. „Mit den Steuern sind sie prompter“, sagte ich zu Peter, unserem Bauunternehmer. Unser Freund der Architekt Markus Alder den wir noch von meiner Architektur Studienzeit her kennen wird für uns den Umbau des Ferienhauses Regulas Eltern vornehmen. Seit zwei Jahren ist sie stolze Besitzerin des Chalets am Grabserberg.

In der Migros der Schweizer Supermarkt Institution gab es keine Maskenpflicht mehr. “COVID ist out“, sagte Regula. Ich versuchte mich zu orientieren. „Welche Milch schäumt besser für den Cappuccino?“, fragte ich mich. MBudget-Milch gibt es in großen 2-Liter-Packungen. Ich las, dass Migros zufolge die Packung umweltgerecht hergestellt wurde. „Das ist schön“, dachte ich, „aber was ist mit der Milch“. Beim Mineralwasser sah es ähnlich aus. Das Wasser in grünen PET-Flaschen war angeblich sogar klimaneutral, was wohl heißt, dass irgendwo auf einer gottverlassenen Bananeninsel ausgleichend ein paar Bäume gepflanzt wurden. Beim Kaffee gab es nette kleine Plastik-Döschen mit Kaffeesahne, aluminium-versiegelt, mit der Aufschrift „Bio“. Aha, dachte ich, die paar Milliliter Rahm stammen von Bio-Kühen. „Brave new world“, dachte ich.

Oben auf der Alp war es wieder wie letztes Jahr: Die Kühe sahen aus wie katholische Büßer und schleppten ihre schweren Schellen wie Geißel-Instrumente über die Wiesen. Eine ganze Familie von Wanderern mit den obligaten Wanderstöcken näherte sich. Es machte klick und klack, aber sie waren schnell wieder vorbei.

August 2022

An meinem sechzigsten Geburtstag (60, gesprochen SECHZIG) kam die Baubewilligung von der St. Galler Behörde, datiert auf den 16. August 2022. „Also pünktlich zum Geburri“, sagte Regula, die mit ihren drei Jahren weniger auf der Uhr gut lachen hatte. Man gab uns eine Ausnahmebewilligung für 1100 SFr zuzüglich zur Genehmigungsgebühr. „Anders als in Mexiko bekommt man in der Schweiz sogar eine offizielle Rechnung für die Bestechungsgebühr“, sagte ich. Nun durften wir also umbauen auf der Voralp. Aber ganz abgesehen von den nun um 30% höheren Preisen war daran dennoch noch nicht zu denken vor dem Jahr 2024: Den langen Lieferfristen geschuldet werden wir froh sein, wenn wir es bis dahin hinkriegen.

Kein Aufenthalt in der Schweiz wäre komplett ohne mindestens einmal eine von alten Kindheitserinnerungen behafteten Stätten zu besuchen. „Geh bloß nicht nach Abtwil“, sagte meine Schwester, ihr Gesichtsausdruck eine Mischung aus Trauer und Ärger. Mein Vater hatte das Haus am Farnenwald verkauft, obwohl wir ihn immer gedrängt hatten, es bloß nicht zu verkaufen. Ich glaube, er hat es verkauft nur um uns zu ärgern. „Einmal Katholik, immer Katholik“, sagte Regula. „Einerseits von Schuldgefühlen geplagt, andererseits immer eine fiese Ader“ dachte ich. Meine Mutter sagte immer Kasi, mein Vater, wäre wie ein Appenzeller Bless gewesen, bissig und hinterlistig. So schlimm war er nicht. Er war großzügig, schlug uns nie, war oft abwesend und ermöglichte uns ein sorgenfreies Aufwachsen.

Natürlich gingen wir nach Abtwil. Nachdem wir uns in Degersheim ein Bild des Abtwiler Kunstmalers Joseph Eggler gekauft hatten, haben wir uns irgendwie in Winkeln verfahren und endeten prompt in der alten Heimat Abtwil. Ich glaube, wenn jemand versucht hätte die hässlichste Ortschaft der Schweiz zu erschaffen, hätte er es nicht so gut so schrecklich hingekriegt. Die Scheußlichkeit von Abtwil ist ganz organisch auf einer Basis von Geldgier, Unvernunft, schlechtem Geschmack und langjährigem Planungsversagen entstanden. Man muss den Ort kennen, um zu verstehen wie viel Hässlichkeit hier entstanden ist. „Sollte die äußere Landschaft die innere Seelenwelt widerspiegeln, dann ist Abtwil verloren“, dachte ich. Schafft man es tatsächlich, die heute von riesigen Gewerbebauten verschandelte Ortseinfahrt bei Bruggen zu finden, wird man gleich begrüßt von der Bildstraße, welche bereits in meiner Jugend von grauseligen, in den sechziger Jahren gebauten Wohnblöcken entstellt war.

Fährt man weiter, kommt man in das Dorfzentrum, wo heute die St. Galler Bäckerei Gschwend ein schönes Kaffee führt. Das liegt fast gegenüber der alten Bäckerei Schrödel, wo damals die Bäckersfrau mit ihrer Tochter die hervorragenden Backwaren des Meisters verkauft hatten. Der Österreicher Schrödel war so erfolgreich, dass der alte Besitzer des Ladens, der auch Bäcker war, den Mietvertrag kündigte und wieder selbst anfing zu backen, nur um dann kurz danach wieder zu schließen. Den guten Pretzel von Schrödel und den hübschen Damen trauerte die halbe männliche Bevölkerung von Abtwil noch Jahre nach. Heute ist in dem Laden eine italienische Pizzeria angesiedelt.

Das eigentliche Zentrum wurde schon vor Jahren von einer Art grauen Wohnsiedlung, deren graue fade Architektur Stalins Herz höher schlagen lassen würde, entstellt. Wir folgten der Auwiesenstrasse und der halbherzigen neuen Hauptstrasse zum Farnen, wo ich am Waldrand in einem Einfamilienhaus aufgewachsen bin. „Die mussten die Häuser wahrscheinlich mit dem Hubschrauber einsetzen“, sagte Regula, „die Dinger sind so dicht zusammengebaut, ich weiß gar nicht wie sie das gemacht haben.“ Ein Wirrwarr an Sträßchen, Gehwegen, Sackgassen und Radwegen führt zwischen einer Art Baumaterial- Ausstellung hindurch. Häuser aus meiner Kindheit, die damals schon architektonisch bedenklich waren, wurden noch mit Wintergärten, Balustraden und Gewächshäuschen weiter verunstaltet. Es gibt so viele neue Wohnsilos und Reihen-Einfamilien-Häuschen, dass ich mich kaum mehr zu recht fand.

Einfamilienhaus, Architekt Walter Heeb, ca. 1962, abgerissen

Das Haus, das mein Vater 1961 gebaut hatte, war in der Tat abgerissen worden. Es wurde gerade ein gigantisches Haus auf dem Grundstück neu gebaut. Nachdem ich mit Mühe und Not den Weg in Richtung Farnenwald gefunden hatte, parkte ich am Waldrand an der Rütistrasse. Der alte Waldweg entlang dem Farnenbach war völlig verwildert und kaum mehr begehbar. Eine wild wuchernde Brombeerstaude ritzte Regulas Haut am Bein auf. Seit meine Mutter und die Nachbarn gestorben sind geht niemand mehr diesen Weg, welcher früher von meiner Mutter in Stand gehalten wurde. Dann sah ich die alten Buchen. Eine davon war über einen Meter dick. Neben den Buchen gab es Eichen, große Ahornbäume und riesige Fichten, die hier anscheinend ewig nicht mehr abgeholzt wurden. Für mich war der Wald schöner als in meiner Kindheit, da er viel wilder und einsamer war. Das gab mir Hoffnung, denn wenn sie die Natur so schnell erholen kann, besteht Hoffnung auf Heilung. „Es hat also doch etwas Gutes, wenn die Leute nur noch auf ihre Handys starren“, sagte ich zu Regula, die noch nie eine große Abtwil-Freundin war.

Ich schaute auf das „Inseli“, die damals bewaldete Halbinsel am Bachrand neben dem Haus, die meine Eltern damals mit zum Kauf anregte. Der Wald darauf war gerodet worden und ein großer Zaun versperrte den Weg. Meine Schwester hatte recht: Am besten geht man nicht mehr nach Abtwil.

Ende August 2022

Bevor wir wieder nach Amerika reisten machten wir noch ein paar heftige Wanderungen hinter unserem Chalet. Einmal stiegen wir hoch zum Chäserrugg und bezwangen dabei 1000 Höhenmeter, um dort weit in die Alpen zu sehen. An einem Abend liefen wir den Weg hoch beim Gasthaus Voralp und ich fotografierte mit Stativ, wie sich das Abendlicht auf den Gamsberg senkte. Zwei Kühe leckten sich gegenseitig im Gras. Während ich wartete, hörte ich Regula mit einem Bauern reden. Klar, sie ist ja hier eigentlich Zuhause, dachte ich und war daher nicht erstaunt, dass sie so lange mit dem knorrigen Typen redete. Ich konnte mit einem Ohr mithören während ich ab und zu ein Bild schoss. Der Mann redete pausenlos.

Auf dem Heimweg sagte ich zu Regula. „Worüber hast Du dich so lange mit dem Bauern unterhalten und wie konntest Du ihn eigentlich verstehen?“ Regula sagte mit gesenktem Blick: „Er war sehr nett, aber ich habe nur die Hälfte von dem verstanden, was er gesagt hat.“

Wir liefen schweigend durch die Dämmerung zum Haus. Die Chapfwand glomm noch in sanften Rottönen über uns. Im Haus von Regulas Tante war das warme Licht in der Stube zu sehen, und wie sie am Tisch saß und etwas las. Ein Waldkauz rief und es wurde frisch. Es fröstelte mich und ich freute mich auf unsere warme Stube im Chalet. Ich dachte wie schön es hier doch ist und wie ich Menschen wohl nie verstehen würde.

Christian Heeb,  © 2022

Der Brief aus dem neuen Zeitalter, Mai 2022

Die blauen Wasser des Golfes wogen vor mir wie ein von unsichtbarer Hand bewegtes Seidentuch. In der Ferne sehe ich dunkle, in der warmen Luft flimmernde Strichmännchen, die sich den langen Strand entlangbewegen. Sie sind von dunklen schwirrenden Punkten umgeben. „Gringos und ihre Hunde“, stöhnt Regula.

„Will man hier in Mexiko auf der Baja-Halbinsel als Expat leben, braucht man mindestens einen Hund, einen rostigen Jeep und ein Alkohol-Problem“, sage ich schmunzelnd zu Regula. Es ist wie alles im Leben. Einer fängt an zu rennen und sobald genug mitmachen sprinten alle hinterher bis keiner mehr weiß, warum er eigentlich rennt.

Es ist unsere letzte Woche in Mexiko bevor wir wieder nach Norden fahren, um dort eine Foto Reise zu leiten und unser Haus in Oregon für den Sommer herzurichten. Die Hundeleute sind inzwischen verschwunden, der Strand ist verlassen. Ich bin etwas müde, denn letzte Nacht hatte ein Nachbar das Tor offengelassen und nach Mitternacht stand eine Kuh vor meinem Fenster und war dabei, unseren schönen Nopal-Kaktus, den ich erst letztes Jahr dort gepflanzt hatte, zu verschlingen. Wir mussten das Vieh mühsam über unser ganzes Land fortjagen.

Nun nehmen wir die Paddle Boards und fahren hinaus auf das stille Wasser der Sea of Cortez. Die Wassertemperatur ist etwa 19 Grad und baden macht richtig Spaß. Einige Rochen springen über die Oberfläche und klatschen vor uns zurück ins Wasser. Das tun sie oft; man hört das laute Platschen manchmal bis hoch zu unserem Haus. Warum sie das tun weiß man nicht. Es wird vermutet, dass sie damit ihren Frauen imponieren wollen.

Unter uns schwimmen bunte Fische und das Meer flimmert in schillernden Blautönen. Es ist völlig ruhig bis auf das leise Plätschern des Wassers, das von unseren Rudern ins Meer zurück tropft. „Traumhaft“, flüstert Regula, und in der Tat ist es im Frühjahr hier besonders schön. Auf dem Weg zurück zum Haus sehen wir unseren Freund Edgar, der gerade die Palmen eines Nachbarn bewässert. „Hola Amigos, como estas?“ schmettert er uns strahlend vor Freude entgegen.

„Uns geht es gut“, sage ich und frage ihn, warum er so gut drauf ist. „Ach es ist herrlich“, sagte er, „es ist wieder ruhig hier, sie sind alle wieder in den Norden gefahren und das Wetter ist perfekt. Nicht zu heiß nicht zu kalt. Pura Vida.“. Die Mexikaner können aufatmen und das Leben geht wieder seinen gemächlichen Gang.

Natürlich ist die Welt nicht in Ordnung und in der Ukraine herrscht Krieg.

Als die Sowjetunion zusammenbrach war ich gerade dabei, meine Karriere als Amerika-Fotograf aufzubauen. Die Leute sagten zu mir „Christian! Jetzt kannst du Russland fotografieren! Das wird ein großer Markt werden für dich.“

Ich dachte an Sibirien, an die Bilder der Gesichter von russischen Soldaten in Berlin nach dem Krieg, an Kirchen mit Zwiebeltürmen und an endlose Wodka-Gelage und sagte: „нет“. Dann, Mitte der Neunziger, als die Bilderberg-Agentur-Fotografen den „Wilden Osten“ dokumentierten und dabei die verseuchten Stätten der missglückten Industrialisierung der Sowjets dokumentierten sagte ich weiterhin: „Nein, danke.“Später schaute ich mir die Bilder von Hans Jürgen Burkard an, der die russische Mafia dokumentierte. Mir wurde fast schlecht. Selbst danach, als ein weiterer Deutsche Fotograf, Gerd Ludwig, für National Geographic Russland fotografierte kam bei mir kein Wunsch auf, den Osten zu fotografieren. Für mich wirkten fast alle Russischen Männer noch immer wie britische Hooligans mit anderem Akzent. Die Frauen flohen alle in den Westen, wenn es irgendwie ging, was ich ihnen nicht verübeln konnte. Einen Auftrag des Reich-Verlages zu Moskau lehnte ich dankend ab und fotografierte lieber Argentinien.

Dass Putin ein Problem ist wusste ich nicht nur instinktiv sondern auch von Garry Kasparov, dessen Buch „Winter is Coming“ das klar gemacht hatte. Es war ein Wunder, dass beim Kollaps der Sowjetunion kein großer Krieg ausbrach wie in Afghanistan nach dem Abzug der Russen. Irgendwie glaubte der Westen tatsächlich an Francis Fukujama’s „End of History“. In diesem Jahr zeigte sich aber, dass sich die liberale Weltordnung doch nicht ganz durchgesetzt hatte.

„Es fehlt nur noch, dass Gott doch nicht tot ist wie Nietzsche sagte“, denke ich mir drei Wochen später, während unser Camper am Salton Sea in Kalifornien steht. Gerade hier in den USA kommt die Religion mit ungebremster Macht zurück.

Wir müssen wieder nach Norden fahren und machen gerade Station in Kalifornien. Die Militärkontrollpunkte, an denen minderjährige, schwer bewaffnete Soldaten sich einen Spaß daraus machen, verstörten Amerikanern möglichst viele spanische Worte ins Gesicht zu schleudern, sind für uns unkompliziert. Unsere mexikanische Niederlassung ist da hilfreich. Die Soldaten wirken enttäuscht, als sie merken, dass wir ihre Sprache sprechen. Der US-Zollbeamte winkt uns trotz zwei Flaschen Campari zu viel im Gepäck durch und wir tauschen kurz ein paar Witze aus. „Siehst du, es hat auch Vorteile alt zu sein“, sage ich zu Regula, die prompt kontert mit: „ja, draußen an der Tanke, wo du mit dem mexikanischen Tankwart gesprochen hast, hast Du mit deinem großen Hut, den kurzen Hosten und den Badeschlappen ausgesehen wie ein alter wackeliger Kanadier.“

Am Salton Sea campieren wir immer auf einem verlassenen Campingplatz voller toter Palmen in einer Art Mad Max-Szenario. Kurz nach Sonnenuntergang nutze ich das zarte rosa Licht zum Fotografieren. Es ist noch immer 38 Grad und ein heißer trockener Wind weht mir ins Gesicht. Am Meer in Mexiko war es bedeutend kühler.

Zwei Off Road Buggys fräsen an mir vorbei und passieren das Schild: Staub-Kontroll-Gebiet. Die Staubwolke der Fahrzeuge nebelt mich ein während ich die toten Palmen für meine „5o States of Grey Serie“ fotografiere. Ich fotografiere dafür Amerika wie es ist. Es sind Bilder im Sinne von Stephen Shore, William Egglestone und Alec Soth. Genau das Gegenteil meiner Reise- und Landschafts-Bilder für Verlage, Magazine und Agenturen. Dabei bin ich froh, dass diese Bilder – die ich auch sehr gern schieße – immer noch gut gehen, denn der Bildermarkt ist massiv eingebrochen und die Kollegen jammern.

Als Berufsfotograf fotografiere ich Bilder in verschiedenen Stilen für verschiedene Kunden. Für mich selbst fotografiere ich auch andere Dinge, die „Amerika wie es ist“-Serie, meine „American Dreamscapes“ oder meinen „Uncle Sam“. Es gibt für mich nichts Langweiligeres als jahrelang dasselbe zu machen. Es gibt einige Fotografen, die mich heute schwer beeindrucken. Es bringt mir mehr Freude, ihre Arbeit zu betrachten als sie zu imitieren. Ich denke da an Edward Burtynsky, Nadav Kander oder Erwin Olaf.

Dann, nach tausend Meilen Einsamkeit und Sagebrush sind wir wieder in Oregon. Es ist noch immer kalt und die Hirsche haben erst begonnen ihren Winterpelz abzustreifen. Ein Kojote streicht am Haus vorbei und ein Reh guckt direkt in unser Wohnzimmer. Wahrscheinlich denken die Viecher: „Oje, sie sind wieder da, nun muss man wieder aufpassen.“

Christian Heeb,  © 2022

Der Brief aus Texas, Februar 2022

Warnung: Dieser Blog trägt deutliche Spuren eines vielgereisten und in Teilen auch Amerika-geschädigten Fotografen mit kritischen Zügen. Absolute Amerika-Fans sollten diesen Blog vielleicht besser auslassen. Wir übernehmen keine Haftung.

Der West-Texas-Highway rollt sich in verpesteter Luft vor uns aus wie eine schuppige Asphalt-Schlange. Ölbohrtürme und verlotterte Geisterstädte flimmern an unseren Autofenstern vorbei. Aus den Lautsprechern unseres Wagens dröhnt texanische Musik von Robert Earl Keen, The Flatliners, den Texas Tornados. Dann klingt der Tex Mex Boogie von Joe King Carrasco. „Verdammt“, denke ich, „wie kann so ein Land dermaßen gute Musik hergeben.“

Wir fahren von Dallas nach Marfa, verfluchen die rasenden Lastwagen, die ganzen Fracking Wells und den starken Wind, der unseren Chevy Suburban wackeln lässt. Texas besteht hier nur aus flachem Land mit struppigem Bewuchs und vielen Cowboy-Mythen. Der Osten des Bundesstaates ist feucht und bewachsen, der Westen staubtrocken und voll von kleinem Gestrüpp und Kakteen. Als der Spanier Cabeza de Vaca und seine Expeditionstruppe 1528 in Florida von Einheimischen angegriffen wurde, schleppte er sich mit vier Kumpanen Jahre lang nackt durch Texas und schaffte es schließlich ins spanische Mexiko.

1618 fingen die Spanier an, erste Befestigungen und Missionen zu bauen mit der Absicht, diesen Teil Nordamerikas dem Spanischen Imperium einzugliedern. Nach der Unabhängigkeit Mexikos von Spanien 1821 öffneten die Mexikaner die Grenzen, um angloamerikanische Siedler anzuziehen und die Region zu besiedeln. Die von Norden einfallenden Comanchen, welche dank der von den Spaniern mitgebrachten Gäule zu einem gefürchteten Pferdevolk wurden, bauten ihre komplette Ökonomie auf Büffeljagd und Raubzüge gegen Mexikaner auf. „Das waren richtige Schweinehunde“, sagt mein Freund, der First People-Experte Thomas Jeier. In der Tat waren die Comanchen eine räuberische, brutale Bande. Wer das nicht glaubt darf gerne einmal die friedlichen Yaqui Indianer fragen, was sie von den Comanchen halten. Heute sind jedoch auch die Nachfahren der Comanchen ein friedfertiges Volk. Die alten Konflikte sind längst begraben, zumindest unter den First Nations.

USA, West Texas Marfa, Texas Highway

Die von Mexiko angeworbenen Anglo-Amerikaner entpuppten sich als eine Art Trojanisches Pferd. Diese rauen Siedler, deren Präsidenten seinerzeit auch bekannt waren als Sklavenhalter (Washington), Sklavenschänder (Jefferson) oder einfach brutale Grundstücksspekulanten und Massenmörder (Andrew Jackson) wollten das heutige Texas für sich. Die Natives wie auch die Mexikaner blieben auf der Stecke und verloren ihr Land. 1845 wurde Texas Teil der Vereinigten Staaten. Die Texas Ranger behaupteten die White Supremacy und wurden zur legendären Polizei Texas‘.

Heute ist der Staat auch bekannt für Überheblichkeit, Religionswahn und Waffennarrentum. Die Landschaften sind fast überall noch genauso stinklangweilig wie zu Zeiten der Comanchen, nun aber durchzogen von Ölfeldern, Fast Food-Läden und Auto-Händlern.

USA,Texas, Marfa, Prada Sculture

Während mir das alles durch den Kopf geht, sehe ich rechts am Rand des Highways einen Prada-Laden. Das Schaufenster ist hell erleuchtet. Es gibt Handtaschen und Stiletto-Heels. Ganz alleine steht das seltsame Gebäude hier am Rand des Highways unter dem weiten Himmel von Texas. Es ist aber in Wahrheit gar kein Modegeschäft, sondern eine lebensnahe Skulptur der Künstlerduos Elmgreen & Dragset. Einige Meilen weiter am Highway stehen riesige Billboards mit Motiven aus dem Film Die Giganten: James Dean, Elizabeth Taylor und Rock Hudson in der Weite des Graslandes. Musik rieselt aus versteckten Lautsprechern und hinten in den Bergen bauschen sich riesige Gewitterwolken auf. Endlich sieht Texas gut aus, so wie man sich das wünscht. Wie in einem Buch von Larry McMurtry oder Elmer Kelton.

Dann sind wir in Marfa, einem kleinen Künstlerort wo sich die schicken Stadtleute an den Wochenenden die Caffe Lattes streitig machen. Es ist hier wie in einem Trendviertel von Austin. Die Leute tragen enge Designer -Jeans, sau-teure Boutique-Boots und Hüte, die ein Cowboy nie tragen würde. „Es ist very cool und etwas strange“, denke ich. Bei den Läden wird darauf hingewiesen, dass Waffen drinnen nicht erwünscht sind, was schon fast ein Sakrileg ist in Texas. Der Ort ist eine liberale Enklave, wie Austin mit einem Meer von Trump-Wählern.

Bei unserem Hotel steht eine Gruppe angetrunkener Senioren. Einer kommt auf mich zu und fragt, ob mein Hut ein Pork Pie Hat sei. Ich sage, „nein, ein Fedora“, und er kommt noch näher. Ich sehe seine rot unterlaufenen Augen, denke an COVID und signalisiere ihm, Abstand zu halten. Er bleibt wie angewurzelt stehen und sieht wütend aus. Ich erkläre, was ein Pork Pie Hat ist, aber er hat das Interesse verloren und geht beleidigt zu seinen angeheiterten Leuten zurück.

Am kommenden Morgen fahren wir früh los in Richtung Big Bend. Der Big Bend Nationalpark und die Berge entlang des Rio Grandes sind die wohl landschaftlich fotogenste Ecke von ganz Texas. Wir wollen dem Rio Grande folgen, damit wir den Blick auf Mexiko haben. Im Ort Presidio, einer ehemaligen Spanischen Garnison, stellen wir verwundert fest, dass sich hier viel getan hat. Wo früher gerade ein paar Häuser standen sieht es jetzt aus wie in einer mexikanischen Stadt. Es sieht überhaupt aus wie in Mexiko, nur die Autos sind neuer und teurer.

Der Rio Grande ist nur noch ein braches Rinnsal, man kann ihn zu Fuß locker überqueren. Weit und breit gibt es zwar keine Mauer, aber die Grenzwacht ist überall. Weiße Überwachungs-Drohnen schweben am Himmel. Am Closed Canyon, einer engen Schlucht, machen wir eine kleine Wanderung. Es ist ein Canyon wie man sie oft in Utah sieht. Früher, vor 20 Jahren waren wir hier alleine und es gab noch keine Hinweisschilder. Heute muss man Eintritt zahlen, denn er liegt im inzwischen gegründeten Texas Ranch State Park. Ich zahle nicht, denn ich mache es wie die Texaner. Leider kann ich aus religiösen Gründen einem Staat wie Texas kein Geld geben, denn er lehnt Schwangerschaftsabbrüche kategorisch ab. „Ich habe eine religiöse Ausnahmebewilligung“ murmle ich vor mich hin. Natürlich prüft mich keiner und ich muss mich nicht mit einem Ranger auseinandersetzen.

Die Landschaften sind grandios. Die Berge auf der Mexiko-Seite bizarr und schroff. Es gibt Fels- Zinnen und -Kegel und Badlands. Noch hat es gute Wolken am Himmel, so dass ich dauernd stoppe und Bilder mache. Der Hunger treibt uns nach Terlingua, einer Ghost Town, wo viele Aussteiger leben. Unser Hotel lässt uns noch nicht einchecken. Es gibt ein mexikanisches Restaurant, dass anscheinend halbwegs OK sei. Die meisten Restaurants sind erst abends auf oder für Vegetarier unbrauchbar. Ich tanke kurz an einer schäbigen Tanke, welche mit einem „Fuck Biden“-Aufkleber geschmückt ist, schmuddelige alte Männer mit verlausten Bärten kommen und gehen.

Dann parken wir vor dem Restaurant, welches in einer mit Restbeständen zusammengeschusterten Hütte untergebracht ist. Holz ist rar hier in der Wüste. Alles musste hergebracht werden. Rundherum ist nur Sand, Lehm und Lavagestein. Die Bruchbude ist von verbeulten und schmutzigen Kleinlastwagen umringt. Beim Eingang kommt uns der Wirt entgegen. Er trägt eine ehemals weiße Schürze voller braunroter Kleckse. Er hat schlechte Zähne und ein von Leid gezeichnetes Gesicht. „Es gibt kein Wasser“, sagt er, „aber wir haben genug zu essen da“. Ich erinnere mich an Botswana wo es auch kein Wasser gab und das Team den Salat im Fluss gewaschen hatte. Mehrere Leute wurden krank damals, und ich will so etwas nicht nochmal erleben. Drin im Laden ist es gerammelt voll. Keine Gesichtsmaske ist zu sehen, weder bei den Gästen noch dem Personal. In der Küche scheinen nur Teenager zu arbeiten. Ich schaue auf die Teller vor mir. Eine Frau mit gewellten Haaren und roten Backen hat einen Teller voller halb frittierter Pommes vor sich. Die Fritten sind umgeben von brauner Bohnensauce, gelblich zerlaufenem Käse und einer Art Enchilada. Es sieht aus, als ob sich auf dem Teller ein Hund übergeben hätte. Der Teller ist aus Pappe und die Gabel aus Plastik. „Lass uns Covidistan verlassen“, sage ich zu Regula, die auch gerade auf den Teller schaut und wortlos zur Türe hinausgeht.

Es war der einzige Versuch, in Terlingua auswärts zu essen. Es gibt nämlich einen tollen kleinen Laden, wo man alles kaufen kann. Wir verpflegen uns also im Hotel selbst, auch abends, wenn die etwas besseren Restaurants offen sind, denn dann gehen wir immer in den Park zum fotografieren.

Früher, als wir monatelang im Nationalpark campierten, kochten wir immer selber oder waren mit dem Camper da und mussten nicht im Hotel wohnen und auswärts essen. Diesmal schon.

Die Hotels in USA sind gerade unverschämt teuer geworden. In Terlingua gibt es kaum Auswahl und so ergatterte Regula noch ein Zimmer für vier Nächte im Mining Hotel, einem rustikalen Motel inmitten von Lehmbergen und Wüstenstaub. Vor dreißig Jahren wohnte ich hier mit Stefan Nink auf einer Globo Reportage und seither wurde nichts erneuert. Beim Einchecken erklingt draußen der wohl furchtbarste Country-Song aller Zeiten, die Faschisten Hymne „God bless the USA“. Das Bad erinnert an einen Puff im Wilden Westen. „Der Fußboden würde durchbrechen, wenn da nicht ein schmuddeliger Spannteppich drüber wäre“, denke ich. Es gibt Mäuse, denn auf dem Bett finden wir kleine Kot-Kegel.

Nach einer Nacht unter Mäusen geben sie uns eine Cabin, die um einiges besser aussieht und eine Küche hat.

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Am kommenden Nachmittag waten wir durch braches Wasser in den Santa Elena Canyon, eine gigantische Sandstein-Schlucht, durch die Nink und ich geraftet waren. Heute hat sie so wenig Wasser, dass man nach Mexiko herüberlaufen kann. Ein Mann tut das genau in dem Moment, wo ich meine Kamera schussbereit auf dem Stativ habe. Die späte Abendsonne wird von der großen Felswand reflektiert. Es ist ein herrliches Bild, wie man es sich besser nicht vorstellen kann. Es ist heiß, noch immer etwa 36 Grad im Schatten, und nur wenige Leute sind da. In der Nebensaison halte sich hier eben kaum Menschen auf. Erst später im Jahr kommen die Rentner mit ihren großen Wohnmobilen angekarrt, um hier zu überwintern.

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Nach den herrlichen Tagen im Park, in dem die Cojoten heulen und die Natur noch wild ist, fahren wir nach Alpine. Wir hatten uns tagelang selber verpflegt und freuen uns auf ein Restaurant. Das Quarter Circle 7 ist in einem riesigen Schuppen außerhalb der Stadt. Es gibt eine Bühne und eine gigantische Bar. Die Serviererinnen haben alle knallenge Jeans mit Bell Bottoms an. Alle haben pechschwarze Haare und ein Handy in der Hinterntasche. Ich staune, dass sie die Dinger da reinkriegen, so eng und drall sind die Hosen. Uns bedient ein alter Kellner mit wackligen Beinen, schlechten Zähnen und der leidigen Angewohnheit, einem zu nahe zu treten. Statt uns das Special zu erläutern sagt er, dass er vergesslich sei. Er habe heute prompt vergessen, seine Tabletten zu nehmen. Alt werden sei nichts für Schwächlinge. Ich schaue sehnsüchtig der jungen Bedienung nach, die alles im Griff zu haben scheint und gerade eine riesige Portion Pommes anschleppt. Regula schaut auf die Karte und wir dürfen schließlich bestellen.

Beim Warten beobachte ich die Leute. Alle sind gut verteilt im riesigen Raum und ich bin wegen Covid einigermaßen beruhigt. Es gibt viele richtige Männer, denen wahrscheinlich die überdimensionierten Kleinlastwagen draußen gehören. Alle tragen Baseballmützen, nur ein alter Rancher trägt einen weißen Cowboyhut. Die Frauen heißen wahrscheinlich alle Sue Ellen oder Baby Jean. Auch sie tragen Cowboystiefel. An dem uns am nächsten gelegenen Tisch kommen die Teller. Große Hamburger mit Fritten. „Jetzt will ich wissen wie man so ein Ding richtig isst”, sage ich zu Regula. Ich habe noch immer Probleme, einen Hamburger – sprich Veggie-Burger – fachgerecht zu essen. Der Mann, großer Bart, klobige Hände und Baseballmütze, packt den Burger mit beiden Händen, wie mit einer großen Kralle aus Metall, presst das Ding zusammen und beißt ein gigantisches Stück davon ab. Saft tropft runter auf den Teller, ein Teil der Gurke hängt aus dem Mund und wird reingesogen in den Schlund. „Und jetzt“, sage ich zu Regula, „jetzt kommt’s“. Der Rest des Burgers geht auf den Teller zurück. Die Finger werden alle einzeln abgeleckt und dann die Hand kurz am Hosenbein abgewischt und noch schnell im Haar nachgesäubert. Die Frau macht es gleich, benutzt aber die Serviette anstatt Hose und Haare.

„Warum gehen die überhaupt in ein Restaurant“, frage ich mich. Alles wird ohnehin aus der Hand gegessen, eigentlich reicht ein McDonalds. „Red‘ nicht so viel“, sagt Regula, und unser Kellner schlurft an. Ein Finger im Salat, keine Maske, aber doch recht prompt. Der Lachs ist ganz gut. Der Kürbis komplett versalzen und der Reis – ach, lassen wir das. „Iss und gib Ruhe“, sagt Regula.

Die Frauen mit den engen Jeans drücken nun alle am Telefon rum, der Greis ist verschwunden und der Rancher wedelt lustlos die Fritten durchs Ketchup, bevor er sie melancholisch ins Maul schiebt. Die Hamburger wurden schnell weggeputzt. Dann kommt der Kellner und sagt die urtypische, einstudierte Floskel: „Thank y‘all for coming, it was a pleasure having you. Please come back and see us soon.“

“Soll ich ihm eine verpassen?“, frage ich Regula auf schwytyzrdütsch. “Sei still und vergiss das Trinkgeld nicht”, kommt die Antwort. Ich sage nichts und bezahle. Keiner fragt, wie es war. Denn sie wissen wie es ist.

Dann, in Alpine hat Regula ein kleines Motel aus den fünfziger Jahren gebucht, das den Charme der frühen Jahre widerspiegelt. Saltillo-Fliesen und wunderschöne Holztüren gibt es, und das Bett ist komfortabel weich. Ich trinke einen Schuss Tequila und bin mit Texas versöhnt. Mindestens bis zum Morgen-Kaffee. Aber Regula hat bereits einen Espresso-Laden aufgetan, der anscheinend hervorragend ist. Ich lege mich hin. Der Tequila wärmt angenehm meinen Bauch. Ich höre die Eisenbahn draußen, und den Autoverkehr wie einen Fluss von wahnwitziger Mobilität. Ich lese im brutalen Meisterwerk von Gormack McCarthy, „Bloody Meridian“, in dem ein Skalpjäger gerade eine alte Mexikanerin skalpiert, und bin wieder einmal fasziniert von dieser seltsamen Mischung aus Amerika-Magie und Alptraum. Dann schlafe ich langsam ein, nachdem ich nur noch ein sanftes „schlaf gut“ von Regula und ein weiteres Tuten der Eisenbahn vernehme. Der Tequila entführt mich ins Nirgendwo.

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Christian Heeb,  © 2022

Der Brief aus der Schweiz, August 2021

Der Flug von San Francisco nach Zürich mit der SWISS Airline ist erstaunlich voll. Es ist ein seltsames Gefühl, nach über einem Jahr wieder in einem Flugzeug zu sitzen. Wir sind so lange nicht mehr gereist, dass ich richtig eingerostet bin und die charmante westschweizerische Stewardesse prompt auf Französisch anrede – was mir eigentlich völlig fern liegt. Vorne thront ein großes Bild vom Matterhorn und die maskierten jungen Damen der Crew tänzeln wie verschleierte arabische Schönheiten zwischen den Gängen hin und her. Wir dürfen dank unseres Schweizer Passes bequem ein- und dank des Ami-Passes auch wieder in die USA zurückreisen.

Zwei Tage später sitzen wir auf der Terrasse des Chalets am Grabserberg und schauen, wie der Nebel vom Voralpsee aufsteigt und sich wie der Geist aus der Flasche ins Nichts auflöst. Regula hat als Kind hier ihre Sommer verbracht, manchmal auch Weihnachten gefeiert, damals, als die Familie noch die letzten Hundert Meter zum Haus durch den Schnee stapfen musste. Eine Straße gab es noch nicht. Hier tobte sie wie eine blonde, kleine Heidi durch die blühenden Wiesen und entwickelte ihre Liebe zur Natur. Gut für mich, dass sie hier nie auf ihren Ziegenpeter stieß so dass ich mich noch einbringen konnte.

Heute, nach 25 Jahren im trockenen Oregon und in der Wüste Mexikos genießen wir den Regen, die feuchte Luft und die grüne Landschaft. Regula ist jetzt stolze Besitzerin des Grundstücks mitsamt dem Chalet. Ihre Patentante wie auch leibliche Tante ist die nächste Nachbarin und besitzt das Haus unter uns. Ich, der Fotograf, staune über die Lichtstimmungen und die wildromantische Landschaft hier. Ich mache dauernd Bilder, einfach weil es so schön ist und ich alles als exotisch empfinde.

Dann beginnt das Entrümpeln des Chalets. Fünfzig Jahre Leben müssen entfernt werden. Ich kann das, ertappe mich aber öfters beim lauten Fluchen, wenn ich gerade eine von Mäusen zerfressene Skihose aus den sechziger Jahren finde oder eine Ansammlung von vergammelten Globi-Büchern im Keller. Die Generation unserer Eltern hatte nie was weggeworfen aber doch gerne was gekauft.

In Oregon, zu Hause, ist es brutal heiß, vierzig Grad sogar. Es brennen die Wälder. Die Luft ist schlecht und unsere Freunde leiden. In Mexiko herrschen 32 Grad, es hat geregnet, was gut ist für die Vegetation. Hier in der Schweiz regnet es dauernd. In Teilen Deutschlands und der Schweiz gibt es gerade katastrophale Überschwemmungen. Auf der Voralp aber wechseln sich Sonne mit Regen ab, die Landschaft ist entrückt von allem. Die Gegend hat große Vorteile für uns, auch weil wir viele Freunde im Raum St. Gallen und Appenzell haben. Regulas Eltern wohnen in Buchs. Wir kennen uns etwas aus hier. Regula sowieso. Vieles ist ihr fremd und vertraut zugleich. Wir tasten uns also durch die Schweiz und treten öfters ins sprichwörtliche Fettnäpfchen. Im Obi-Baumarkt in Abtwil lösen wir prompt das Parkticket nicht, weil wir denken, dass es gratis ist für die erste Stunden. Und wir blockieren wie Amateure die Ausfahrt. Obwohl ich in Abtwil aufgewachsen bin verfahre ich mich mehrfach auf der Suche nach dem Eingang zum IKEA. Wir kennen alles aber doch alles nicht und es kommt die Frage auf, wo wir denn eigentlich zu Hause sind. Wir sind genauso Amerikaner wie Schweizer und als zeitweise Wahl-Mexikaner suche ich verzweifelt nach Tequila. Den trinkt man hier anscheinend aber nicht. Ich finde endlich eine überteuerte Flasche von mittlerer Qualität in einem Spezialgeschäft. Die Rigatoni a Tequila sind damit also gerettet.

Nun schaue ich mich im Migros-Laden um und gucke die Schweizer an. Sie sehen alle noch so aus wie ich sie in Erinnerung habe. Sie tragen modernere Haarschnitte und modische Brillen, Ami-Käppi und bunte Hemden und sind etwas wohlgenährter als in meiner Jugendzeit. Sie kaufen in erster Linie in Plastik eingeschweißtes Obst und Gemüse ein. Joghurt besteht in der Migros aus Stärke, Milchfett und viel Zucker. Irgendwie ist der Plastik-Anteil hier fast noch größer als in den USA. Aber man kann alles trennen und schnell vergessen, damit mindestens die Wohnung sauber aussieht.

Am Abend gehen wir nach St. Gallen und treffen unsere Freunde Markus und Martina. Sie leben noch immer in ihrer Wohnung im Westen der Stadt und haben sich entschieden, Kinder zu haben anstatt durch die Welt zu reisen. Wir laufen durch die mausgrauen St. Galler Gassen, wo es Pflastersteine in geradezu beängstigenden Mengen gibt. Wir gehen vorbei an unserem schönen Fachwerkhaus an der Gallusstrasse, dass ich mit einer Schwester besitze und in dem Regula und ich mehrere Jahre lebten. Wie immer in der Altstadt, wenn ich die breiten, zu Stein erstarrten Straßen überquere, erwarte ich irgendwie, dass gerade eine Kolonne von geschorenen Wächtern der heiligen Inquisition auf dem Weg zu einer Hinrichtung um die Ecke biegt. Statt übereifriger Kirchenväter sehe ich aber nur junge Männer mit langen, wilden Bärten und kichernde, überparfümierte junge Frauen, die alle aussehen wie Kim Kardashian. Die Männer sind alle haarig und tätowiert wie bei uns in Oregon. Anscheinend ist die Männermode von Amerika aus in die Schweiz geschwappt. Die Mädchen, wenn sie nicht perfekt Kim imitieren, haben wieder die gleich geschnittenen Hosen und Jacken wie wir das Anfang der achtziger Jahre cool fanden. Das Restaurant San Lorenzo, passend benannt nach dem christlichen Bild der Stadt, ist noch immer genau wie vor 30 Jahren. Selbst die Karte ist dieselbe. Nur die grauen Haare unserer Freude und die Falten in unseren Gesichtern verraten, dass wir alle älter geworden sind.

Den restlichen Abend verbringen wir zwischen balzenden jungen Leuten im Biergarten des Bahnhofspärkli. Die bärtigen Jungs trinken dunkles Bier wie die in Oregon. Wellen von Marihuana-Rauch wabert durch die warme, feuchte Luft. Die Mädchen im Park kichern und trinken aus mitgebrachten Gläsern und Dosen, die dann im Gestrüpp landen während ab und zu ein sauteures Sportauto mit gut situierten Halbstarken drin um die Ecke dröhnt.

Als alte St. Galler haben wir natürlich gratis in der blauen Zone im Linsenbühl geparkt. Wir werden am Abend mit einem kotzenden Säufer an der Ecke belohnt und misstrauisch von verschiedenen Leuten beäugt. Unsere Freunde gehen zu Fuß nach Hause. Wir versuchen, die Autobahnzufahrt zu finden, denn wie gewohnt ist gerade alles wegen Baustellen gesperrt. Auf der Autobahn sagt Regula nach all dem Trubel, „gut, dass wir auf der Voralp wohnen und dort nur die Heidi, meine Kuh, bimmelt.“ Kühe trinken nicht und sehen noch immer aus wie vor dreißig Jahren. Die Kühe bei uns haben sogar noch ihre Hörner. Es hat sich gelohnt, die alte Heimat wieder einmal zu besuchen.

Ein paar Tage später machen wir am Morgen eine kleine Wanderung. Es beginnt typisch für uns. Ich nehme eine Kamera mit einem Zoom 24-120mm mit und nur einen Polarisationsfilter. Kurz vorher kam der Fotograf Roland Gerth auf einen Kaffee vorbei. Wir waren uns uneinig ob man graue Verlaufsfilter noch braucht. Er benutzt sie noch immer, ich versteh mich auf Photoshop und so lassen wir das heikle Thema. Roland geht an den Walensee und wir gehen hoch in Richtung Kurhaus Voralp. Unten am Straßenrand beim alten Stall von Regulas Großvater hat der Pächter Walter eine amerikanische Flagge mit Bild von Marilyn Monroe gehievt. Er lacht als wir vorbeikommen und sagt, „ich wollte mal was anderes als die Schweizer Flagge sehen.“

Wir laufen locker 200 Höhenmeter und die Wandergruppen und E-Bike-Rentner sind verschwunden.

Wir kommen auf eine erste kleine Alp mit Kühen. Unten sieht man den Voralpsee und weiter hinten das Rheintal. Da wir noch fit sind steigen wir immer weiter das Tal hoch. Überall hat es Wildblumen und Kühe mit lauten Glocken. Irgendwann erreichen wir das Ende des Tals und es wird steinig. Große Büsche mit blühenden Alpenrosen wachsen an den Hängen. Es schellt aus allen Ecken. Kühe überall, Kuhfladen und Fliegen ohne Ende. Die Landschaft ist komplett zertreten und versumpft von den schweren Viechern und es ist ein Gebimmel, dass man sich fast nach der Ruhe in der Stadt sehnt.

Die Kühe sind alle freundlich und wir grüßen sie und kraulen einigen das Fell. Sie tun mir leid, denn wer will schon dauern eine laut schellende Glocke um seinen Hals haben und bei jeder Bewegung Lärm erzeugen. Die Bauern, von Grund auf konservativ, glauben, dass die Glocke einfach Tradition ist und dass Kühe auf hochalpinen Wiesen ökologisch wichtig sind. Lustigerweise sind dieselben Traditionalisten nun gerne bereit, das geschnittene Gras mit motorisierten Laubbläsern den Berg runter zu blasen und das Heu in Plastik einzupacken. Es ist eine selektive Auslegung von Tradition, aber wer einmal mit einem Landwirt gesprochen hat weiß, dass diese Diskussion sinnlos ist. So geht die subventionierte Alpverschandelung und die Lärmbelästigung immer weiter.

Nun geht es steil den Bergrücken hoch. Wegen Absturzgefahr gibt es einen Zaun, der die Kühe von den Klippen fernhält. Der Weg windet sich hoch zum Kamm und die Vegetation ist hier intakt und voller Wildblumen, darunter auch der blaue Enzian. Keine Kühe und dafür mehr Pflanzenvielfalt. Ganz oben stehen wir in einem Blütenmeer und schauen ins Tal hinunter. Wir sehen den Walensee und die Autobahn. Wir sitzen wie in einem Adlerhorst und es geht auf beiden Seiten in die Tiefe hinunter. Hier lässt es sich aushalten denke ich. Weit unten höre ich das Gebimmel der Kühe und rechts, noch weiter unten, die Schweizer Moderne.

Abends sitzen wir im Skihaus Gamperfin, einem urigen Restaurant, in dem sich gerade mehrere Generationen von Regulas Familie aufhalten. Wir sitzen an groben Holztischen und trinken sauren Most. Draußen zieht ein Gewitter auf. Regen prasselt auf die grüne Landschaft. Die Sonne bricht durch und eine Tante sagt, „da gibt es sicher einen Regenbogen”. Ich gucke den Kamm hoch. Mein Blick schweift über die Wiesen und ich sehe einen braunen Regenbogen queer über der Landschaft liegen. Es ist ein Bauer, der die Gülle in hohem Bogen über die Felder schleudert. „Alles beim alten“, denke ich, „die Schweiz bleibt die Schweiz”. Dann trifft mich der Güllegestank wie eine Ohrfeige und Regula sagt, “mach das Fenster zu”.

© Christian Heeb 2021. Foto Workshop Voralp

Top Spots an der Küste von Oregon für Landschaftsfotografen

Fotostandorte an der Küste von Oregon, die Sie nicht verpassen sollten

Oregons Pazifikküste ist ein Traum für Landschaftsfotografen und bietet eine landschaftliche Fülle aus der man nur schwer auswählen kann. Christian Heeb listet einige seiner Lieblingsfotostandorte von Nord nach Süd auf.

1. Cannon Beach

Wenn man aus Portland anreist, sollte man der historischen Stadt Astoria einen kurzen Besuch abstatten, bevor es zum Strand von Cannon Beach geht. Das Fotografieren des Sonnenuntergangs am Strand von Cannon Beach mit dem monolithischen Haystack Rock, welcher sich aus den Wattflächen erhebt, ist eine großartige Möglichkeit, um die Küstenreise nach Oregon zu beginnen. Nördlich der Stadt befindet sich der Ecola State Park, von dem man einen fantastischen Blick nach Süden auf die zerklüftete Küste hat. Es ist ein lohnender Ort auch für den Sonnenaufgang.

2. Kap Kiwanda

Ein weiterer großartiger Ort ist Cape Kiwanda in Pacific City. Hier findet man atemberaubende Klippen, Felsen und dramatische Wellen bei Stürmen vor.

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3. Yaquina Head Lighthouse in der Nähe von Newport

Auf der Suche nach einem Szenenwechsel? Yaquina Head Light befindet sich auf einer Klippe und ist früh oder spät am Tag leicht zu fotografieren. Der Leuchtturm erinnert an ein Gemälde von Edward Hopper und vermittelt ein ausgeprägtes New England-Feeling.

4. Thor’s Well

Der berüchtigte Thor-Brunnen in der Nähe von Yachats ist nur ein kurz Spaziergang vom Highway 101 entfernt. Die beste Besuchszeit ist zwischen Ebbe und Flut. Sie müssen sehr auf die Brandung achten, da man den Wellen ausgesetzt ist. Es ist einer dieser Orte, an denen jeder und seine Katze bei Sonnenuntergang fotografieren möchten, und Instagram ist voller Bilder. Ich fand es interessant bei Mondschein, mit Sternen und auch tagsüber. Bitte seid vorsichtig und lässt kleine Kinder am Ufer zurück.

5. Heceta Head Leuchtturm

Ein neuer Tag, ein neuer Leuchtturm. Dies wäre die bekannteste Station an der Küste von Oregon und ihr solltet sie nicht verpassen. Es kann so ziemlich unter allen Wetterbedingungen, außer tiefem Nebel, fotografiert werden. Aus irgendeinem Grund war ich immer an sonnigen Tagen dort, aber ein dramatischer Himmel wäre schöner gewesen.

6. Oregon Dunes

Die Dünen südlich von Florence sind nicht leicht zu fotografieren. Ein großer Teil des Gebiets wird von Offroad-Enthusiasten genutzt und sie neigen dazu, über jede ungestörte Sanddüne zu fahren. Mein Lieblingsort ist direkt nach dem Fluss südlich von Florence. Man bleibt am besten oben an den Dünen weit vom Strand entfernt und geht nach Norden. Es gibt dort keine ATVs. Schließlich hat man einen Blick auf den Umpqua Fluss. Dort gibt es gute Dünen und mehrere begrabene, fotogene Bäume.

7. Shore Acres State Park und Cape Arago

Die Küste südwestlich von Charleston bietet alles. Ein malerischer Leuchtturm, dramatische Klippen, krachende Wellen und immergrüne, vom Wind verkümmerte Bäume. Geht entlang der Klippen im Shore Acres State Park, wo man lange Platten aus erodiertem Sandstein und weite Ausblicke vorfindet. Man kann sogar Bilder von schönen Klippen und dem nahe gelegenen Leuchtturm erhaschen.

8. Bandon

Bandon liegt an der Südküste, und ist dort das was Cannon Beach an der Nordküste ist. Die Sea Stacks hier bieten so viele Möglichkeiten für großartige Fotos, dass du vielleicht etwas länger bleiben möchtest. Abends kann man die Lichtverschmutzung der Stadt nutzen, um die Felsen zu fotografieren. Während der Sommermonate steigt die Milchstraße in Richtung Süden genau richtig hoch, um sie mit den vielen Sees Stacks zu kombinieren.

9. Cap Sebastian

Eine asphaltierte Straße führt zu dieser atemberaubenden Aussichtspunkt hoch über der Küste. Nimm den rechten Aussichtspunkt für den Sonnenuntergang und den linken für einen kurzen Weg zu einem anderen Aussichtspunkt. Dort schau nach Norden und finde eine perfekte vertikale Ansicht der Küstenlinie. Es ist sogar noch besser, wenn niedriger Nebel hereinrollt. Geh nicht weiter als 50 Meter oder so. Der Weg schlängelt sich zu einem abgelegenen felsigen Strand, bietet aber nur wenige Ausblicke, hauptsächlich durch die Bäume.

10. Samuel Boardman State Scenic Corridor

Mein Favorit und dank Instagram leider nun der ganzen Welt. Man kann die Milchstraße von der Aussichtsplattform bei Natural Bridges aus fotografieren, zum Secret Beach wandern oder zu den Indian Sands hinunterklettern. Blicke von Indian Sands nach Norden und du siehst eine fantastische Küstenlandschaft. Für die besten Aussichten muss man hier meistens ein Stück weit zu Fuß gehen. In dieser Ecke kann ein Fotograf mehrere Tage verbringen.

© Christian Heeb 2021. Foto Reisen und Foto Workshops

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Hoppla- plötzlich war ich Reisefotograf. 7 Blogs zum Werdegang von Christian Heeb wie er zum professionellen Reisefotografen wurde

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Schaut man sich die Landkarte von Kalifornien an, sieht man, dass sich der US-Bundesstaat in einer langen Halbinsel nach Süden ausdehnt. Von San Diego an der US-Mexikanischen Grenze aus sind es etwa 1700 Kilometer bis nach Cabo San Lucas, dem Ferienort am untersten Ende der Wüste Halbinsel Niederkalifornien, kurz Baja genannt. Einst gehörten Kalifornien sowie […]



Referenzen

Herbst in den Rocky Mountains, USA 2016

Einer der Höhepunkte war zweifellos der Kojote, der plötzlich auftauchte, quasi aus dem Nichts, in der Wiese am Strassenrand, wo wir gerade standen, dort auf Mäusejagd ging und sich durch nichts und niemanden aus dem Konzept bringen liess, schon gar nicht durch die knipsenden Fotografen. Es war faszinierend: wie seelenruhig Bisons zwischen den Autos die […]

Katrin Züger
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Originally trained as an architect, Christian Heeb is known for his stunning travel photography and his creative art photography. The image of America aka the USA is his main focus of his artistic photography. From the dramatic colors of the “American Dreamscapes” to the “joker-esque” “Uncle Sam” series and the fading American dream in his “Pax Americana” images.

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Bend based photographers Regula and Christian Heeb have been leading photo tours and workshop around the world since 1998. Originally from Switzerland they live in Bend, Oregon and El Sargento, Mexico and maintain a mountain chalet in the Swiss alps.

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