Schaut man sich die Landkarte von Kalifornien an, sieht man, dass sich der US-Bundesstaat in einer langen Halbinsel nach Süden ausdehnt. Von San Diego an der US-Mexikanischen Grenze aus sind es etwa 1700 Kilometer bis nach Cabo San Lucas, dem Ferienort am untersten Ende der Wüste Halbinsel Niederkalifornien, kurz Baja genannt.
Einst gehörten Kalifornien sowie große Teile des amerikanischen Südens zu Spanien und später zum unabhängigen Mexiko. Im Vertrag von Guadalupe Hidalgo, welcher den Mexikanisch / Amerikanischen Krieg von 1846-48 beendete, verlor Mexiko seinen Anspruch auf weite Teile der heutigen USA. Somit liegt die „Baja Halbinsel“ heute in Mexiko und der Rest von Kalifornien in den USA.
Das Meer von Cortez, benannt nach dem raffgierigen Spanischen Eroberer Hernán Cortez, auch Golf von Kalifornien genannt, trennt die Halbinsel von der Zentralen Landmasse Mexikos. Die Halbinsel splitterte sich von Mexiko vor etwa 12 – 15 Millionen Jahren ab. Am nördlichen Ende des Golf rinnt heute der kümmerliche Rest des einst Wasserreichen, Colorado Flusses ins Meer. Mehrere unbewohnte und von endemischen Pflanzen bewachsene Inseln liegen in den extrem fischreichen Gewässern des Golfs. Hier tummeln sich Wale, Delphine, Walhaie, Orcas und Seehunde.
Gegenüber in den Lagunen an der Pazifikküste, bringen Grauwale ihre Jungen zur Welt. Die Begegnungen mit den kalbernden Walen dort sind einzigartig auf der Welt.
Natur und Landschafts Fotografen schätzen die Halbinsel vorwiegend wegen ihrer dramatischen Wüsten und Kaktus-Landschaften. Seit 18 Jahren haben wir ein Haus am südlichen Ende der Halbinsel, mit Blick auf den Golf von Kalifornien und die menschenleere Insel „Cerralvo“. An einem normalen Morgen, wenn ich in meinem Garten sitze, kommt eine Vielzahl von einheimischen Vögeln vorbei. Ein kleiner Vogelbrunnen, sowie unser naturbelassener Garten ziehen sie an. Es gibt etwa 200 Vogelarten auf der Baja. Bei uns sehe ich drei Arten Spechte, Bienenfresser, Kolibris, zwei Arten Wildtauben, Kaktuszaunkönig, Trällerer, Orioles, Karakara, Falke, Fregattvogel, Fink, Spatz, Spottdrossel, King Bird, Kernbeisser, um nur einige zu nennen. Die Vegetation südlich der Hauptstadt La Paz ist Subtropische Wüste. Im Garten stehen Cardon Riesen Kandelaber Kakteen (Pachycereus pringlei) zwei Arten von Pitahaya Kaktus, Elefantenbaum, Lomboy „Weißer Limberbusch (Jatropha cinerea) und Wüsten Limberbusch (Jatropha cuneata). Es gibt zwei Arten von Ocotillo, sowie wilde Berg-Agaven und eine Vielzahl an Büschen und kleinen Kakteen. Was bei uns fehlt und was man nur in der zentralen Halbinsel vorfindet, sind die Boojum Bäume, Fouquieria columnaris, welche zwar wie Kakteen aussehen, aber in der Ocotillo Familie angesiedelt sind. Sie sehen aus wie große, aus der Erde wachsende Elefantenrüssel.
Besonders schön sind die Landschaften im November nach dem Ablauf der „Regenzeit”. Die heiße Jahreszeit von Juli bis Oktober ist die Zeit der Tropenstürme, dann fällt der meiste Regen. Die feuchte Luft aus dem Süden lässt die Luftfeuchtigkeit massiv ansteigen, was dazu führt, dass die Büsche Blätter machen und die Landschaft grün ist. Manche Jahre fallen auch sporadischer Regen im Winter und auch dann ergrünt das Land. Manche Jahre fällt kein Regen und alles sieht braun, verdorrt und tot aus.
Im Ort El Sargento kann man ein Boot chartern und auf die nahe Cerralvo Insel fahren. Dort gibt es endemische Kakteenarten und unberührte Strände voller Muschelschalen. Am südlichen Ende gibt es Robben und Seehund Kolonien sowie Blaufuß-Tölpel wie auf den Galapagos Inseln.
Niederkalifornien ist riesig und viele Orte und Landschaften sind nur mit einem Allradfahrzeug zu erreichen. Große Gebiete, in den unwegsamen Bergen, kann man nur zu Fuß oder mit dem Maultier besuchen. Das wohl spannendste Gebiet für Fotografen liegt in der zentralen Wüste, nördlich des winzigen Örtchens Catavina. Dort, auf einem Hochplateau, liegt eine bizarre Landschaft, voller großer Felsen, durchwandert von Kakteen und Bochum Bäumen. Auch hier wachsen die uns vertrauten Cardon Kakteen, benannt nach dem Spanischen Name für Distel (Cardo). Anscheinend fanden die Spanischen Eroberer, dass diese großen Kandelaber Kakteen wie Disteln aussehen. Dort gibt es auch die Fächerartigen, dornigen Stauden, die Ocotillo sowie die Elefantenbäume, Organ Pipe Cactus ( Stenocereus thurberi ) , Agaven, und kleinere Cacti wie die Viejitos. Die felsige Landschaft ist ein beliebter Platz für Reisende auf dem Weg nach Süden oder Norden. Überall gibt es versteckte Stellen zum wilden Kampieren oder Picknicken. An manchen Tagen liegt am Morgen Nebel, welcher von der nahen Pazifik Küste hoch kommt und der Landschaft einen ganz eigenen, fast mystischen Charme verleiht.
Wer denkt, die Baja ist immer warm, täuscht sich, denn in den nördlichen Regionen wird es im Winter frisch und es kommt vor, dass Schnee fällt. Besonders in den Bergen der Sierra de San Pedro Martir im Norden wird es bitter kalt. Bei uns im Süden ist es in der Regel angenehm warm und auch im Januar meist um die zwanzig Grad Celsius unter Tags. In der Nacht fällt das Thermometer bis auf 12 Grad. Die Temperaturen schwanken und manche Tage sind kälter. Dann nehmen die Einheimischen die dicke Winterjacke aus dem Kasten und schlafen unter Daunendecken.
Wovon es genug gibt, sind endlose Strände und Küstenlandschaften, wo die Wüste auf Wasser trifft. Die Wüste Sonora, welche sich über weite Teile der Zentralen und nordöstlichen Halbinsel, über Teile des südwestlichen Arizona, Kalifornien und weiten Teilen der an den Golf von Kalifornien angrenzenden Mexikanischen Bundesstaaten erstreckt ist außerordentlich vielseitig. Viele der uns bekannten Kakteenarten in Arizona findet man auch hier in Mexiko. Der Kontrast von Wüste und blauem Meer ist für Fotografen wie mich unwiderstehlich.
An einem stillen Morgen, Ende April, stehe ich auf und nehme in der Dunkelheit mein Mountainbike aus dem Geräteschuppen. Noch ist nichts zu hören vom nahen Dorf und der Sternenhimmel funkelt über mir. Selbst die Vögel sind noch nicht erwacht und haben mir ihrem frühmorgendlichen Gezirpe nicht angefangen. Der Wüstenfuchs und die Wildkatze, die manchmal am Haus vorbei streichen, sind auch nicht zu sehen.
Mit der Stirnlampe am Fahrrad montiert, mein Stativ an der Stange des mit Duct Tape angeklebt, meine Kamera mit einem Objektiv in dem Rucksack verstaut, trete ich los. Es geht vorbei an einigen Nachbarhäusern. Ein Hund knurrt, als ich vorbeifahre. Dann bin ich auf dem Weg in die nahen Wüstenberge. Kakteen ragen über mir in den Himmel, stachelige Jolla Kakteen und spitze Bergagaven lauern neben dem schmalen Bike Trail. Ich kenne den Weg im Schlaf, habe ihn hundertfach gefahren, wenn ich hier Sport treibe. Manchmal treffe ich andere „Gringos, Amerikaner, Kanadier oder „Stadt“ Mexikaner. Manche blutig von Kakteen schnitten, andere gut geschützt mit Fahrradkleidung.
Es wird heller und ich stelle die Lampe ab, denn ich sehe besser ohne künstliches Licht. Das Morgengrauen naht. Schließlich komme ich an eine Stelle, wo mehrere große Cardon Kakteen stehen. Es ist ein natürlicher Aussichtspunkt mit runden Felsen. Ich stelle mein Stativ auf und warte. Nebel liegt über dem Wasser der Ventana Bay. Er liegt perfekt als dünne Schicht, nicht zu hoch, denn die Spitzen der Wüstenberge auf der vorgelagerten Cerralvo Insel ragen darüber in den Himmel. Die Sonne hat den Himmel orange gefärbt und das leichte seitliche Gegenlicht strahlt in den Nebel und trifft schließlich auch die Kakteen. Ein riesiger Kaktus ist mein Motiv. Dahinter das Meer und die Insel. Der Kaktus hat so gegen die zwölf Arme. Diese gigantischen Kakteen werden bis zu 300 Jahre alt und es dauert oft 60 oder mehr Jahre bis sie ihre ersten Arme machen. Dieser Gigant steht sehr fotogen, wie ein stummer Wächter über der Landschaft.
Nun höre ich die ersten Vögel. Es trillert ein Kardinal, der versucht, sein Weibchen zu beeindrucken. Wildtauben gurren irgendwo hinter mir. Ein Kalifornien-Schopf Tyrann (Myiarchus cinerascens ) saust an mir vorbei und setzt sich in einen Limberbush. Er neigt seinen Kopf und guckt mich an, wie es seine Art ist. Dann schwingt er sich elegant hoch und schnappt sich ein Insekt, landet wieder gekonnt auf demselben Ast.
Unten am Strand sehe ich den ersten Mexikanischen Kleinlastwagen ins Dorf rumpeln. Eine dichte Staubwolke folgt ihm und ich höre den lauten Motor bis hier hoch. Dann, nach getaner Arbeit, fahre ich nach Hause zum Morgenkaffee.
© Christian Heeb, März 2023