„Es sind vier Stück“, sagt Regula strahlend, als ich verschwitzt von meiner frühmorgendlichen Mountainbike-Runde heimkehre. Jetzt, im Sommer, fahre ich meistens in der Früh eine 18 Kilometer lange Schlaufe durch die Wälder und Lava-Wüsten hinter unserem Grundstück. Ich sause über Klippen und sandige Wege, durch verwunschene kleine Canyons, vorbei an schön blühenden Sträuchern, motzenden Eichhörnchen – und ab und zu ein paar pensionierten Amis mit Hunden, welche mir freundlich zuwinken (die Amis, nicht die Hunde).
Ich denke zuerst an Anmeldungen für unsere Workshops, dann an frisch gebackene Muffins. „Vier, warum vier – in der Regel sind es doch sechs Muffins“, wundere ich mich. „Vier junge Ground Squirrels“, sagt Regula immer noch grinsend, „Mann, sind die süß“.
Jetzt wird es mir klar und ich sehe vor meinem geistigen Auge das große Loch, welches kürzlich mitten am Vorplatz vor dem Gewächshaus entstanden ist. Unsere Erdmurmel, die wie etwas zu groß geratene Streifenhörnchen aussehen, haben jedes Jahr so um die zwei bis drei Junge. „Vier ist schon eine sehr gute Zahl“, denke ich. Die kleineren Streifenhörnchen, die hier zuhauf wuseln, haben mehrfach im Jahr Junge, während die größeren „Groundies“, wie wir sie nennen, nur einmal im Jahr Junge gebären. Wir haben bereits etwa fünf Generationen davon erlebt. Eine Generation sieht aus wie die vorherige, und die Tiere lebten schon hier auf dem Land, als wir 1996 kamen.
Als wir einmal Besuch hatten, wurden die Tiere von deren Kindern gefüttert – und plötzlich war eine ganze Generation Tiere versaut. Sie liefen uns die Beine hoch, rannten über den Tisch draußen und bettelten unentwegt. Es dauerte eine Generation, bis wir wieder Frieden hatten, bis wir als Futterquelle in Vergessenheit gerieten. Nun leben wir wieder mit ihnen zusammen, so wie ein altes Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat. Wir zeigen uns die kalte Schulter und leben nebeneinander her. Leben und leben lassen.
Momentan ist hier großer Betrieb: Die jungen Groundies spielen im Garten und Regulas Blumen sind nun besonders gefährdet, denn die Kids wollen alles ausprobieren und in alles beißen. Die Streifenhörnchen sausen wie blöd durch den Garten. Die Eidechsen machen überall Liegestütze und beobachten uns.
Seit einigen Jahren haben wir hier auch alles voller Frösche. Unsere raren „Oregon Tree Frogs“ lieben Regulas Gewächshaus und die Kissen auf unseren Liegen. Wir müssen immer unter die Kissen schauen, damit wir keinen der zartgrünen oder goldbraunen Frösche zerdrücken. Sie sind von einem bis etwa fünf Zentimeter groß, sehr freundlich und liebenswert. Wegen der vielen Frösche schlängeln öfters auch harmlose Strumpfband Schlangen durch den Lavendel. Auch sie sind Teil der Ökologie hier genauso wie das Zaunkönig-Pärchen, das auch dieses Jahr wieder in einem kleinen Brutkasten am Haus nistet. Das Pärchen flitzt nervös von Strauch zu Strauch, immer auf Suche nach Futter. Die Wildtauben hocken gerne wie fette alte Tanten auf dem Vogelhaus, so lange, bis sie von einer der drei Spechtarten hier auf der Rancho verjagt werden. Im Sommer gibt es hauptsächlich Meisen, Kleiber und Finken am Vogelhaus. Manchmal versucht ein Habicht sich einen davon zu jagen.
Unsere Rancho ist ein kleines Naturparadies. Ich hatte die letzten Jahre einen großen Teil der abgestorbenen Büsche weggebrannt und auch einige der wild wuchernden Wacholderbäume abgeholzt, um die Feuergefahr zu mindern. Nun hat sich das Land gut regeneriert und wir haben Gras wie noch nie. Das einheimische Gras sieht fantastisch aus dieses Jahr, und ich habe, zum ersten Mal seit 20 Jahren in Oregon, Heufieber gekriegt. Was für die Natur gut ist, ist nicht immer ideal für mich.
Die Viecher genießen es auf unserem Land, denn wir haben keine Haustiere. Also keine vogelkillenden Katzen, keine kläffenden hechelnden Hunde, welche die Rehe verscheuchen, und keine lauten Kinder mit Luftgewehren. Es ist schon erstaunlich, wie viel Schaden eine einfache Hauskatze anrichten kann.
Dieses Jahr, in dem wir wegen des Coronavirus‘ zu Hause sind, können wir es so richtig genießen. Es gibt keinen Zeitdruck, keine auf uns wartenden Flugzeuge, keine Mietwagen und die Packerei sowieso nicht. Es ist das ideale Jahr, einmal das Zuhause zu genießen und sich möglichst von der Welt fern zu halten. Den Ground Squirrels ist das egal, denn sie verhalten sich immer so, leben schon seit Generationen, seit Tausenden und Abertausenden von Jahren hier. Immer abends, wenn die Sonne untergeht und wir uns auf dem Vorplatz ein Bier oder einen Campari leisten, beobachten uns die Groundies von ihren Hochsitzen auf den Lava-Felsen.
Ich vermute, sie wundern sich, wie lange wir Menschen noch hier sein werden. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie darauf hoffen, dass sie irgendwann hier wieder alleine sind. Kaum geht die Sonne unter, hinter den Vulkanen im Westen, tauchen die Tiere ab. Die Groundies verschwinden in ihrem Erdloch, die Vögel verstummen und verstecken sich in den Wacholderbäumen, und die Kojoten bereiten sich auf die Jagd vor. Wir genehmigen uns noch ein Bier und lauschen der Stille.
Monika Widmer meint
Danke für den tollen Bericht, Natur und Tierwelt pur. Geniesst es weiterhin!
Besendahl Christian meint
Liebe Regula, lieber Christian,
schön zu erfahren, dass es Euch gut geht. Dieses Jahr bleibe ich im Sommer in Deutschland (Mecklenburg-Vorpommern), freue mich aber sehr auf ein Wiedersehen in 2021.
Gruß Christian
Werner Völker meint
Eine erfrischende und kurzweilige Schilderung aus deiner amerikanischen Heimat! Kommt mir so vor, als wäre ich dabei gewesen!!
Freue mich schon auf den nächsten Bericht
Herzliche Grüsse vom Untersee
Werner