3- Florida
Das Hotel ist toll und liegt unweit des Strandes. Die Besitzer Dell & Hank Stanley haben ein altes Motel mit viel Liebe zum Detail zum Fifties style Boutique Hotel umgebaut. Marilyn Monroe als grosses Wandgemälde wacht über unser Bett und nebenan ziert Elvis die Wand. Es gibt einen grünen und ruhigen Innenhof und die Zimmer sind hell und freundlich. Zum Glück gibt es eine Klimaanlage, denn draußen ist es 33 Grad Celsius und die Sonne knallt erbarmungslos vom Himmel. Am riesigen Strand tummeln sich einige Leute, aber er scheint endlos und man hat seine Ruhe. Wir stürzen uns in die Fluten und genießen den Atlantik als wohltuende Erfrischung. Ein Schwarm Pelikan zieht über uns hinweg. Wir sind in Florida angekommen und es ist nichts dagegen einzuwenden.
Die zwei Meerjungfrauen ziehen ihre Kreise im klaren Wasser von Weeki Wachee Springs. Sie drehen sich im Kreis, machen Unterwasser Saltos und schwingen elegant ihre Flossen zu Musik aus den fünfziger Jahren. Viel früher standen die “Mermaids” oben am Highway wie die Sirenen in Homers Odyssee und lockten mit apartem Sexappeal die amerikanischen mittelkasse Touristen und ihre rotgesichtigen Kinder an. Wenn in Amerika eine nostalgische Roadside Attraction aus den Fünfzigern den Besuch wert ist, dann diese. Dieser State Park ist eine Zeitkapsel, die ihresgleichen sucht. Abgesehen davon, dass man in dieser gigantischen Frischwasserquelle herrlich baden kann, ist die im Eintrittspreis inbegriffene Bootstour auf dem gleichnamigen Fluss an sich schon die Reise wert. Florida abseits der Shopping Malls und der von Spekulanten zugebauten Strände ist im Grunde ein ein wunderschönes Naturparadies.
Bei Sonnenaufgang treffen wir uns am Bootssteg bei Pine Island, Captain Frank und Captain Steve. Beide sind Florida Originale. Frank sieht aus wie Papa Hemingway und wird von Steve nur Cappy genannt. Die beiden sind ganz schön aufgeregt heute, denn das Wetter könnte nicht schöner sein.
Die Sonne geht gerade auf, hinter dem dichten tropischen Wald, als wir Richtung Golf fahren. Am Ufer stehen vereinzelte Holzhäuser, alle mit Bootssteg und mit Mückengittern versehen.
Am Wasser lauern Reiher auf Beute und ein Eistaucher fliegt über uns hinweg.
Das Marschland bildet eine natürliche Barriere zum offenen Meer. Der Golf hier ist nur wenige Meter tief und das für einige Kilometer. Aus diesem Grund sind die Hurrikans hier auch nicht so zerstörerisch wie anderswo in Florida. Plötzlich deutet Steve ganz aufgeregt ins Wasser. Dort steigen gerade große Luftblasen auf.
Plötzlich streckt eine Seekuh ihren Kopf aus dem Wasser und beäugt neugierig unser Boot. Eine zweite Kuh schwaddert rechts am Boot vorbei. Die Tiere sind den Hippos in Afrika ähnlich, können aber nicht an Land gehen. Zudem sind sie trotz ihrer Größe ungefährlich, aber schwerhörig und werden dadurch oft von Motorbooten verletzt und gar getötet. Wie Ihr Name andeutet, fressen sie das unter der Wasseroberfläche wachsende Gras.
Herrlich sind diese Tiere hier so zu sehen und furchtbar der Gedanke, dass hier vielleicht schon bald die Ölpest kommt. Denn draußen im Golf wird nach Öl gebohrt und gerade ist eine Plattform von BP kollabiert.
Weiter draußen treffen wir auf Delphine, weitere Seekühe und einige Fischer. Wir sind in der Wildlife Refuge, einem großen Schutzgebiet der Bundesregierung.Es sind hier herrliche weite Wasserlandschaften, durchzogen von Sumpfgras Ebenen, kleinen mit Hartholz bewachsenen Inseln und darüber ein strahlender blauer Himmel. “Das kann sich aber in der Hurrikansaison rasch ändern“, sagt Cappy und wir alle wissen, dass es am Nachmittag täglich zu heftigen Gewittern kommt. Daher ist dies auch nur eine Morgentour. Captain Frank erzählt weiterhin seine Witze und redet ununterbrochen von seiner Leidenschaft dem Fischen, während Steve uns zurück zum Hafen bringt.
Hernando County ist noch ein Geheimtipp. Man spürt noch das alte Florida. Nicht nur wegen der Seejungfrauen, sondern auch wegen des ruhigen, beschaulichen Leben hier. Die meisten Leute wohnen in kleinen bescheidenen Häusern im Schatten von alten Eichen. Die Küste ist noch weitgehend unverbaut.
Das alles ändert sich schlagartig unten in der Ecke Tampa, Clearwater, St.Petersburg. Wir checken ein im „Sand Pearl Hotel & Resort“, einer wunderschönen und exklusiven Anlage direkt am blendend weissen Traumstrand von Clearwater. Ich kann es nicht lassen und schon sind wir im Wasser des Golf am schwimmen. Draußen ist es 30 Grad. Gar nicht so schlecht, sagt Regula, als wir im warmen Wasser plantschen.
Weit draußen im Golf baut sich langsam ein Hitzegewitter auf. Blitze zucken, Donner kracht und die schwarzen Wolken kommen bedrohlich nahe. Zeit für uns, das Wasser zu verlassen und Zuflucht in unserem Zimmer zu suchen. Von dort haben wir einen herrlichen Blick auf den Golf. Mit einem Glas Wein verfolgen wir das spektakuläre Gewitter Spektakel über dem nun tinten schwarzen Golf.
Am kommenden Morgen fahren wir über die grandiose Sunshine Skyway Bridge. Sie sieht aus wie ein Segelschiff mit ihrem Spannkabel. Nur fliegen ist schöner, denke ich, als wir durch die luftigen Höhen hoch über der Tampa Bay schweben.
Auf der anderen Seite der Bucht am Rande des beschaulichen Städtchens Palmetto wohnen Wally und Jürg Ragaz, Schweizer Auswanderer und Pferdenarren auf Ihrer 14 Acres grossen Liegenschaft. Jürg ist aus Zürich und Wally aus dem Kanton Graubünden. Ihre Liebe zu Pferden hat sie zusammengebracht und nun haben sie hier im Sunshine State ihren Traum von einer Pferderanch verwirklicht. Wir wollten uns das mal ansehen und ein paar Bilder schießen für unser Florida Buch im Verlagshaus Würzburg. Die Gegend hier ist ländlich, voller grüner saftiger Wiesen, Palmen und vereinzelt Häuser und Kleinfarmen. Vor einem großen schmiedeeisernen Tor bleiben wir stehen und rufen Jürg an. Das Tor geht auf und wir fahren in ein grosses Gelände mit gepflegtem Rasen und Blumenrabatten Es gibt hier Stallungen für die zwei Pferde, eine grosse Garage und ein Traumhaus in zarten lilatönen
Das hier Schweizer Wohnen wird klar als mir Jürg das Haus zeigt. Es gibt wohl in ganz Florida kein so sicheres Haus.
Betonwände, Panzerglas und ein Schutzraum machen das Haus unverwüstlich. Zudem liegt es leicht erhöht, um auch gegen Überschwemmungen gesichert zu sein. Bei der Abnahme soll der Beamte gesagt haben, dass er bei einem Hurrikan hierher kommen werde, schmunzelt Jürg.
Wie fühlt man sich hier in Florida als Schweizer will ich wissen?
„Gut“ sagt Jürg und Wally bestätigt das. „Das warme milde Klima hilft und der easy und relaxt lifestyle machen es einem leicht.“ “Natürlich leben wir hier im Bible Belt “meint Jürg “ und der Ami Lifestyle geht einem manchmal ganz schön auf den Wecker aber dann denke ich an die Schweiz und wie viele Bewilligungen ich hätte beschaffen müssen, um ein Haus wie dieses zu bauen und schon bin ich wieder froh dass ich hier lebe.“
Sanfter Regen fällt während wir die Pferde besichtigen und uns unterhalten. Nach einem leckeren Espresso und einem Fotoshoot verabschieden wir uns und brausen südlich in Richtung Everglades und Naples.
Es klopft an meine Zimmertüre im Hotel „Daddy O“ von North Miami Beach. Ich erwarte Regula zurück von Ihrer Exkursion, um Eis für unsere Drinks zu suchen, finde aber zu meiner Überraschung lediglich Helen, eine pensionierte Amerikanerin vor der Türe. Ich bin etwas verdattert, werde aber gleich aufgeklärt, dass ich unbedingt Sonnenschutz nach Key West mitnehmen soll. Anscheinend hat die Dame bereits mit Regula auf dem Gang gesprochen und weiss wo wir hin wollen. Sie scheint etwas verwirrt, erzählt mir gleich, dass sie hier lebt und in Miami Beach aufgewachsen ist. In Key West war sie noch nie, sagt sie” da gibt es nur Schwule”. “Darf ich Dein Telefon benutzen?“ ist kaputt. „Ich muss mich in der Lobby beschweren“, sagt sie.
Es folgt eine Mischung aus Slapstick und Demenz und dann kommt Regula zurück. Beruhigt die Dame und bugsiert sie mit gekonnter Leichtigkeit aus dem Zimmer.
Ich atme auf und schaue betrübt auf den Dauerregen vor dem Fenster. Immerhin ist kein Hurrikan in Sicht. Seit Naples regnet es nur noch und da macht Miami trotz flippigen Art Déco District einfach keinen Spass. Am Nachmittag hellt sich der Himmel auf und wir können doch noch zum Ocean Drive fahren. Vom „Daddy O Hotel“ sind es nur 12 Autominuten und doch ist das Hotel eine Oase der Stille im Vergleich zu den Hotels am Ocean Drive.
Anfang der neunziger Jahre waren wir hier mit unseren Freunden Markus und Martina aus der Schweiz. Markus, ein Architekt aus der Ostschweiz war damals angetan von diesem leicht verkommenen Art Deco Freilichtmuseum. Damals fing gerade die sanfte Renaissance von Miami Beach statt. Ausgelöst von der TV-Serie Miami Vice war Miami plötzlich hip.
Ich erinnere mich noch an die alten verkommenen Art Deco Hotels wo Rentner am Abend auf den Veranden saßen und vor sich hin träumten. Dazwischen gab es erste Cafés von Franzosen, Italienern und ein-zwei coole Lounges. Was für einen Unterschied 20 Jahre machen. Die Gebäude sind alle restauriert und mit kitschig bunten Neon Schildern verschandelt worden. Dumpfe Disco Musik konkurrenziert nun mit dem anhaltenden Knattern von Motorrädern auf der Strasse. Ein Restaurant versucht das nächste zu übertrumpfen. Hier gibt es Bauchtanz, dort Retro achtziger Jahre Musik und gleich daneben versucht eine langhaarige Hardrock-Band die Schallgrenze zu durchbrechen.
Die alte Hochburg der Alten ist heute ein Karneval für die Jugend und der ewig Jungen. Während wir unsere Abendaufnahmen machen, fliegen ein paar Papageien in den Baum über uns. Diese Vögel sind fast so laut wie die Diskothek. Sie schnattern aufgeregt über unseren Köpfen. Es sind Einwanderer aus dem tropischen Süden und nicht einheimisch.“Schön dass es sie hier gibt“ denken wir, während ich die letzten Bilder schieße und den Tanz der schönen Leute beobachte.
Wir fahren nach Key West, weil wir das können. Wer sonst als die Amerikaner kämen auf die Idee einen Highway über das Meer zu bauen, nur um dann am Ende der Straße in Key West eine Ansammlung von Bars zu betreiben welche sozusagen den Weg rechtfertigen.
Duval Street, die Hauptachse des Massentourismus in Key West, hat ein ähnliches Schicksal erlitten wie South Beach in Miami.
Hier sind es vorwiegend Eisdielen, T-Shirts Shops und laute Bars, unterbrochen von Galerien voller buntem Kitsch. Da draußen gibt es nur Schwule, hatte unsere Zimmernachbarin gesagt. Ich sehe aber nur Familien mit bunten T-Shirts. Unten am Pier wird noch immer am Sonnenuntergang ein Sunset Spektakel veranstaltet. Gaukler, Wahrsager, Musiker und Hippies kämpfen um die Dollars der Touristen. Hier hat es eine tolle Atmosphäre und oft gibt es hier auch grandiose Sonnenuntergänge zu sehen.
In den letzten Jahren hat die Anzahl von Latinos in den USA dramatisch zugenommen. Überall hört man Spanisch. Auf dem Heimweg kommen wir an einer Latino Kneipe vorbei. Ein Salsa Band spielt auf und die Leute tanzen voller Lebensfreude. Latinos wie Anglos sind gleichermaßen von der Musik in Beschlag genommen. Wir filmen etwas und trinken dann an der Bar noch ein Bier. Jetzt sind wir am Ende unserer Reise angelangt. Weiter südlich können wir nicht fahren. Kuba liegt 150 Kilometer über dem Wasser entfernt .”Das war’s“, sagt Regula. In der Tat fliegen wir am Tag darauf von Miami nach New Orleans und weiter nach Oregon. Der Golf ist nur noch eine schwarze schaukelnde Masse vor unseren Augen und ich muss an das ganze Öl denken, das dort unter der Oberfläche lauert und dass wir dreitausend Kilometer gefahren sind, um hier am Ende der Straße ein Bier zu trinken. “Another round“, fragt der Barkeeper und ich sage “Hell, why not”. Immerhin, so denke ich, waren es dann zwei Bier.
© Christian Heeb/2010