2- Tiefer Süden
Tags darauf fahren wir früh aus der Stadt hinaus. Nach einem letzten Blick zurück auf die gigantische Skyline vom Adler Planetarium aus und schon durchfahren wir South Chicago und Gary, Indiana. Aus den Lautsprechern dröhnt Warren Zevons Song “Working in the factory”, gefolgt von seinem „Lawyers, Guns and money“. Besser zur Gegend passende Musik hätte ich kaum finden können. An der Windschutzscheibe zieht eine „Dritte Welt“ vorbei.
Unweit der Glitzerwelt von Michigan Avenue liegen hier die alten Arbeiter Ghettos des Schwarzen Amerika. Die Luft riecht nach Schwerindustrie, Kraftwerk und Unrat. Auf den Billboards machen Anwälte Werbung für Claims für Lungenkrebs, Asbest und Arbeitsverletzungen. Obama mag aus Chicago sein, aber dies hier ist auch ihm fremd. Diese Welt hat mehr mit Afrika gemeinsam als mit Obamas geschniegelten Country Club Amerika.
Danach wird es leer auf der Strasse und links wie rechts davon liegen Felder mit Mais und Soja. Die letzten Radiostationen aus Chicago sind in einem wüsten Zischen untergegangen und wir finden nur noch vereinzelte Country Musik Sender mit furchtbaren Dudel Country. Ein Song wie der andere. Standard Country ist wie Budweiser light. Ohne Substanz und Geschmack. Über allem hängt ein fast kitschiger blauer Himmel ohne Wolken.
Nördlich von Indiana Lafayette liegen Prophetstown und Tippicanoe. Dort fand eine wichtige Schlacht statt, an der der legendäre Shawnee Häuptling Tecumseh gegen den US General Harrison gekämpft hatte. Tecumseh’s Bruder der Seher „Tenskwatawa“ gründete später hier seine Stadt. Davon ist nicht mehr viel zu sehen. Heute ist das alles von Monsanto verseuchtes Agrarland. Der Sänger der Hardrock-Band Guns and Rose, Axl Rose, kommt aus dem nahen Lafayette. Dazwischen liegen ein paar fade deprimierende Orte, deren einziges Highlight der neue Starbucks am Stadtrand ist. Indiana ist bekannt als das Land des Klu Klux Klans, welcher hier noch fast schlimmer wütete als im tiefen Süden. Wir durchfahren Indianapolis, essen nur kurz an einem indischen Buffet und fahren weiter bis Cincinnati am Ohio River.
Eigentlich fahren wir nur nach Cincinnati wegen der US Band “Over the Rhine” . Ihr Album Ohio hat es uns angetan. “Over the Rhine” ist auch ein schwarzes Viertel am Rand der Innenstadt welches nun langsam von Künstlern übernommen wird. Ursprünglich wurde es von deutschen Einwanderern gegründet. Daher der Name „Über dem Rhein“. Wir kommen am späteren Nachmittag im Hotel an und gehen nach dem Check In gleich nach „Over the Rhine“. Es ist 30 Grad hier und die Sonne brennt unbarmherzig auf den Asphalt der Stadt.
Das Viertel sieht zum großen Teil noch aus wie ein Viertel in Kinshasa. Die meisten Häuser sind in einem verwahrlosten Zustand und überall hängen schwarze Amerikaner-rum. Die Arbeitslosigkeit ist allgegenwärtig. Unten an der Vine Street aber fängt die Wiederbelebung an. Hier gibt es etwa den coolen Laden Mica 12 von Michael Deininger und gleich daneben einen hippen, von fotogenen Afro Amerikanern geführten Friseursalon. Wegen der Hitze sitzt die ganze Belegschaft draußen und ist offen für einige Bilder und einen Schwatz. Überhaupt ist hier die Stimmung so relaxed, dass wir ohne Unterbruch Leute fotografieren.
Das Downtown und die Flusspromenade auf der Ohio Seite sind völlig zubetoniert und öde. Aber auf der Kentucky Seite im Süden, dort wo man einen guten Blick auf die Skyline von Cincinnati hat, findet gerade ein “Italian” Festival statt. Dazu gibt es eine Art Jahrmarkt. Die Stimmung ist ausgelassen freundlich. Tätowierte Skinheads schieben Kinderwagen vorbei an Schwarzen Familien und pummeligen, weißen Wohlstand Bürgern aus der Provinz.
Vor kurzem gab es hier heftige Rassenunruhen, aber heute scheinen alle zufrieden und genießen den lauen Herbstabend.
Die Sonne senkt sich hinter der Stadt und die nostalgische Swing Musik der Live Band hinterlässt ein seltsam altmodisches Gefühl in mir. Das Amerika von Glenn Miller feiert eine kurze Wiederbelebung.
Während ich noch letzte Filmaufnahmen mache, springt mir plötzlich eine “Southern Belle” vor die Kamera und tanzt vor sich hin. Ich filme weiter und wir werden spontan zum Bier eingeladen. Lance, der Verlobte der tanzwütigen Dame, besitzt 6 Kaffeehäuser hier in der Stadt und betont immer wieder, dass er und seine Freunde aus Ohio und nicht aus Kentucky kommen. „Kentucky“, da sind die Leute ungebildet. „Rednecks halt.” sagt er.
Alle sind ganz schön betrunken aber sehr freundlich. Wir trinken ein Bier mit und hören zu. Ich sitze am Tisch und fühle mich völlig von der Realität entrückt. Regula redet mit dem besoffenen Steve. Cindy und Chloe, die Mädchen, reden mit wirren Zeichen aufeinander ein. Abwechselnd starke Drinks und Zigaretten fuchtelnd. Es geht um irgendein Mädchen, welches Chloe genervt hat. Lance erzählt von seinen Coffee Shops und will wissen, wo die Welt am schönsten ist. Ich weigere mich, ihm zu gestehen, dass Cincinnati einfach traumhaft ist.
Als schönste Stadt schlage ich Buenos Aires vor, Rio und sogar Rom. “Da ist alles crazy“, meint er und deutet ins Leere und damit auf all das Böse was so außerhalb Amerikas dem US Empire zu schaffen macht.
Ich trinke einen Schluck fades Budweiser. Hinter Lance dreht sich das Riesenrad in slow motion und es leuchten die Türme der Stadt in Ohio. Seltsam, denke ich. Dass ich immer wieder in Amerika herumfahre. Seltsam dass die alle so lieb, aber gleichzeitig völlig verrückt sind. In meinem Kopf erschallt der Guns and Roses Song “You’re Crazy” .
Regula guckt mich an und sagt nur: Film Christian, nimm das auf. Und so filme ich die bizarre Szene als ein Amerikaner mit Osterhasen aus China am Gürtel dem besoffenen Steve versucht zu erklären warum er unbedingt dem Obdachlosen um die Ecke einen Dollar geben soll und Chloe zu Lance sagt „Man meine scheiss Tasche ist unter dem Tisch mit der ganzen Kohle“ und Lance fragt: “ist Cincinnati nicht wunderschön”?
Es pisst wie aus Kübeln. Irgendeiner schmeißt ganze Wassereimer auf unser Auto, während wir die Brücke über den Ohio River überqueren und Richtung Süden fahren. Als ich in „Over the Rhine“ einer Gruppe von Leuten sagte, dass wenn immer ich in Ohio bin, es entweder schneit oder regnet, kriegte ich nur ein verständnisvolles Grinsen zur Antwort. Man, das Wetter in Ohio ist beschissen und ich frage mich manchmal, warum Tecumseh und seine Shawnees so lange um dieses Land gekämpft haben. Heiß und feucht im Sommer, eiskalt im Winter. Tornados und Überschwemmungen, hier gibt es alle Wetterkatastrophen der Welt. Wenn immer ich die Wetterprognosen in Amerika abrufe heisst es entweder eine Sturmfront zieht durch das Ohio Valley oder sie sind gerade beim Aufräumen, nach einem Sturm.
Auch diesmal gab es kurz bevor wir ankamen einen Tornado. Wie so oft wurde eine Wohnmobil- Siedlung verwüstet. „Gott“, so sagen böse Zungen „Hasst Trailer Trash”. So nennt man hier die armen Weissen, die vorwiegend in Wohnwagensiedlungen leben.
Genau diese aber denken, dass Jesus sie liebt. Das sagen nun auch alle Tafeln hier im frommen Kentucky. Vor einer der unzähligen Kirchen steht ein Schild mit der Aufschrift „Psst….“ hier oben… Gott. Auf einer anderen:
“Looking for Jesus“? „We got him.” So geht das weiter im Bluegrass-Staat. Aber wir sind nicht der Kirchen wegen hier, denn die sind wahrhaftig keine architektonischen Meisterwerke, sondern wegen der Sandsteinbogen. Jawohl, riesige Sandsteinbogen wie in Utah, aber verborgen in herrlichen Laubwäldern. Die meisten Amerikaner selbst in Kentucky schauen einem nur mit leerem Gesicht an, wenn man sie auf die Arches anspricht. Aber dass es sie gibt, bewahrheitet sich im „Natural Bridge State Park“ östlich der Stadt Lexington.
Und so stehen wir an einem kalten Oktober Morgen im dichten orange farbigen Laubwald vor einem gigantischen Steinbogen. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Ein Eichhörnchen huscht kurz vor uns über den Weg aber sonst ist es still hier. Die Shawnee Indianer und in der Tat alle umliegenden Indianerstämme lebten nicht in Kentucky. Das waren die heiligen Jagdgründe für alle. Hier wurde gejagt und nicht gelebt. Eine Art Speisekammer für alle. Die Einwanderer sahen das natürlich anders und so ist aus diesem herrlichen Land ein konservativer Südstaat geworden. Der Osten von Kentucky ist ein Armenhaus und man kann sich kaum vorstellen dass wir uns im sogenannten mächtigsten Land der Erde aufhalten.
Die Natur ist jedoch grandios und entschädigt für die sozialen Missstände. Zumindest für uns, die wir hier nicht leben müssen.
Um die Dimension des Steinbogen anschaulich zu machen, posiert Regula darunter. Ich mache einige Bilder, bin aber nicht zufrieden. Die Arches stehen oft an steilen Abhängen und man ist daher sehr eingeschränkt beim Fotografieren. Ich kriege nicht genug Abstand, um den Bogen ganz abzulichten. Benutze ich ein Weitwinkel Objektiv sieht alles verbogen aus.
Vorsichtig gehe ich etwas weiter den Abhang runter und schieße dann drei übereinander liegende horizontale Bilder. Mache dann dasselbe nochmal, aber mit 4 Bildern, damit ich mehr Himmel im Bild habe. Zuhause werden die Bilder dann im Photoshop zusammengebaut und etwas entzerrt. Damit kriege ich dann doch noch ein ganz gutes Bild. Weitere Arches finden sich in der Region des Red River Gorges von Kentucky und in Tennessee am Big South Fork National River.
Unser Toyota Prius Mietwagen ist ein super Auto. Der Spritverbrauch für US-Verhältnisse ist einfach grandios. 50 Meilen pro Gallone ist schon toll, aber leider gibt es in diesem Modell keine Buchse für unseren IPod. Auf der Fahrt Richtung Florida versuchen wir erneut, am Radio etwas Passendes zu finden.
Wenn uns nicht gerade ein Prediger mit der Hölle droht oder Spenden sammelt, dann werden wir mit Country Pop der übelsten Sorte bombardiert. Die Texte der Stetson Hut tragenden Pseudo Cowboys sind derart doof, dass man versucht ist aus dem fahrenden Auto zu springen. Daneben gibt es nur noch Rock-Stationen, welche es sich zum Ziel erklärt haben, nur die übelsten Songs der achtziger Jahre zu spielen. Reo Speedwagon, Journey oder meine absolute Hass Band Foreigner. Regula hat resigniert und döst vor sich hin. Ich kurble weiter in der Hoffnung irgendwann doch noch etwas Passendes zu finden, habe aber Angst, dass bald Phil Collins mir endgültig die Laune verdirbt. Dabei sind wir hier im Herzland der Amerikanischen Musikgeschichte. Bluegrass, Blues, Country, Rockabilly, Rock’n Roll……. Elvis, Johnny Cash, Bill Monroe….und gerade hier unweit der Georgia- Florida Grenze, die Southern Guitar Rock Legenden Lynyrd Skynyrd und Allman Brothers. Tom Petty und Don Felder von den Eagles kommen auch aus dieser Ecke und diese Radiostationen spielen Retorten Rock aus den Achtzigern? „Ich weiss das wird nicht besser in Florida, dort wo Jimmy Buffett’s Margaritaville immer noch als National Song verehrt wird.“ Obwohl Jimmy Buffett „wäre eine willkommene Abwechslung“, denke ich.
Jetzt kommt Pat Benatar und ich stelle endgültig ab, ignoriere die Schilder für gratis Orangensaft, verbilligte Disney World Tickets und Outlet Shopping Malls und fahre weiter Richtung Jacksonville und von dort nach Atlantic Beach. Unser Motel heißt „Palms Retro.“ „Ach das passt ja zur Musik“, sagt Regula und erzwingt damit ein müdes Lächeln von mir.
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