Tacho hat es arg erwischt“, sagte Tony, als wir gerade vom Strand kamen und an seinem Büro im Resort vorbeiliefen. Er trug wie immer eine Maske über Mund und Nase wegen der Pandemie, und seine großen Augen darüber sahen besorgt aus. Tacho, unser Baumeister, hat uns schon seit Wochen gemieden. Dabei wollten wir, dass er unsere Terrasse erweitert und eine kleine Mauer darum baut. Aber er zierte sich.
Zuerst schob er die Arbeit im Resort vor. Dann hatte er Geburtstag, ich glaube es war sein Fünfzigster. Die Party im Dorf soll laut gewesen sein. Tony, der gleich nebenan wohnt, stöhnte über die Musik, die bis zum Morgengrauen lärmte, und berichtete murmelnd von sehr vielen leeren Bierflaschen auf der Straße am Tag danach. Nach seinem Fünfzigsten lag Tacho mit „dolor de cabeza“, einem Hangover, einige Tage lang flach. Ich plante schon eine Falle, denn ich dachte, er würde das Haus meines Nachbarn inspizieren, an dem seine Arbeiter werkelten. Aber er kam nicht. Ich dachte, er ist zwar klein gebaut, aber so klein doch auch wieder nicht, dass ich ihn hätte übersehen können. Schließlich fragte ich abermals Tony, und der sagte nur: „Tacho ist seine Familie in Oaxaca auf dem Festland besuchen gegangen. Er ist weg für zwei Wochen.“ Ich sagte nichts. Aus den zwei Wochen wurden drei, dann ein Monat.
Ich fragte Tony, ob ich vielleicht besser Edgar fragen soll, denn der baute mittlerweile auch Häuser. Irgendwie kam mir hier alles vor wie in dem Asterix-Band „Obelix GmbH & Co. KG“. Unsere freundlichen Dorfbewohner wurden plötzlich alle zu Unternehmern und der Handel blühte.
„Nein, nein“, textete mir Tony, “ Tacho ist zurück aus Oaxaca.” Ich war wieder guter Dinge. Dann habe ich von Mr. Bill erfahren, dass Tacho gerade bei ihm im Resort Fliesen legte. Tony sagte, er brauche ein paar Tage um sich wieder einzuleben und den Boden fertig zu machen. „Am Mittwoch kommt er zu dir“, versprach er. Mittwoch textete Tony: „Tacho ist krank, hat Dünnpfiff.” Ich schrieb zurück „Ich wusste gar nicht, dass Montezumas Rache auch Eingeborene erwischt. Und außerdem: too much detail…“
Es war mir bewusst, dass es ja im Grunde nicht eilte. Tacho kommt, wenn er kommt. Es war jeden Tag so um die 24 Grad, die Sonne schien, und die Vögel zwitscherten im Garten. Oben in Gringolandia herrschte komplettes Chaos. In Portland, Oregon fällte ein Wintersturm 500 Bäume in, legte Strommasten flach und vereiste die Straßen. 200 000 Leute waren ohne Strom und Heizung. Auf unseren Solarpanelen an unserem eigentlichen Haus in Bend, Oregon, lag kurz etwas Schnee, aber bereits nach zwei Tagen rutschte der bei Sonnenschein wieder ab. Die Heizung im Hause lief ordnungsgemäß, wie Regula online sehen konnte. Bend liegt hinter den Bergen und wird daher von den schweren Stürmen verschont. Ganz anders sah es in Texas aus. Die globale Erwärmung führt zu sogenannten Schleifen des Jet Streams, und arktische Luft floss nun bis an den Golf von Mexiko. In Texas brach das gesamte Elektrizitätsnetz zusammen. Jahrzehntelange Misswirtschaft der Markt-orientierten Republikaner hatte Profit vor Sicherheit gestellt, und nun starben Leute.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als mit dem Mountain-Bike ins Dorf zum Einkaufen fuhr. In Texas erfroren sie, hier kaufe ich Fisch. Meistens gehe ich eigentlich am Nachmittag einkaufen. Oscarito, der Laden bei uns, hat neuerdings jedoch ab 15 Uhr wegen Covid geschlossen, also fuhr ich am Morgen schon hin. Ich sauste in 5 Minuten zum Fischladen von Claudia und Poncho. Anscheinend ist Claudia nur morgens im Laden und Poncho, ihr Mann nachmittags, denn ich hatte sie lange nicht mehr gesehen, sondern immer ihn angetroffen. Er ist der große Geschäftsmann, ein bisschen wie der Fischhändler Verleihnix. Er kauft nun neu beim Großhändler in Cabo all die Dinge ein, ohne die wir Gringos nicht leben können und verhökert sie an uns mit Aufpreis. Übrigens hat es hier auch einen Schmid wie Automatix gegeben, aber die Schmiede wurde beim letzten Wirbelsturm zerstört und nun steht dort nur noch ein eingebrochenes Metalldach und ein Graffiti für die kommunistische Partei. Vor 15 Jahren, als der Fischladen nur eine kleine Bude war, fotografierte ich Claudia für eines meiner Mexiko-Bücher. Ein Freund von uns war dabei und bemerkte danach in der Runde, dass die Claudia doch ganz hübsch sei, was dazu führte, dass alle Männer, die uns besuchen mich immer fragen ob wir nicht Fische kaufen gehen wollen.
Ich kaufte also einige tolle Filets und überteuerten Joghurt (zuckerkfrei), und fuhr weiter zu Oscarito. Zwei Mexikaner-Hunde wollten mir ins Rad beißen, waren aber dann doch zu faul um zu rennen. Sie sandten mir noch ein gutmütiges Wuff nach bevor sie sich wieder mitten auf die Straße in den Staub legten. Bei Oscarito stand der untersetzte Verkäufer und maß meine Temperatur (wegen Corona). Ich packte mehrere Bananen, eine Papaya und frische Bohnen in der Tüte und ging zur Kasse, wo die junge Mariely wie immer über ihr Telefon gebeugt war und textete. Sie ist sehr hübsch, hat eine kugelrundes, mexikanisches Gesicht und eine Vorliebe für falsche Wimpern. Sie posierte in zwei meiner Mexican Dreamscapes und seither kriege ich immer ein freundliches Lächeln und ein „Hola Christian“. Die restlichen Gringos kriegen, wie ich früher, nur ein gelangweiltes Gesicht zu sehen und eventuell ein sprödes „Gracias“ zu hören.
Als Regula die vielen Fischfilets sah sagte sie „aha, Claudia war im Laden”, denn sie vermutet immer, dass diese mich dazu verführt, mehr zu kaufen als wir brauchen. Ich bejahte und sagte, „Mariely war auch da“. Regula sagte nur trocken, „naja, das war dann wohl ein Gewinn für alle.“
Nun sind wir bereits 5 Monate in Mexiko und es fühlt sich an wie eine Art Frühpensionierung. Das Einzige, was nicht passt, ist, dass noch keine Rente reinkommt und wir statt Einkommen wegen der Pandemie Gelder an Kunden zurückzahlen. Es fühlt sich an wie eine Übung, so eine Art Pension auf Probe. Ich glaube, ich versteh jetzt, warum sich einige damit schwertun und andere nie Zeit haben sobald sie von der Tretmühle weg sind.
Ein Tag in Mexiko geht schnell vorbei. Er beginnt mit dem Blick auf den Sonnenaufgang vom Bett aus auf die Sea of Cortez, Hierba Matte Tee auf der Terrasse, gefolgt von Kajakfahren, baden in den heißen Quellen oder Strandwanderungen. Schon ist Cappucino-Zeit und Frühstück und bevor man sich versieht, ist es lunch time, Mountain-Bike, eventuell etwas Büroarbeit und Happy Hour mit Blick auf die Bay. Abendessen, lesen und ein Film. Nicht eingerechnet sind etwa einkaufen, putzen, waschen, Partys. Was die meisten Rentner zuerst fertigmacht ist der Gedanke, dass sie nicht gebraucht werden. Fotografen sind da nicht anders. Es ist doch ein Frust, wenn man ein jahrelanges Kalender-Thema abgeben muss oder wenn ein Bildband-Thema nun von einem jungen Schnösel übernommen wird. Es ist hart, wenn sich plötzlich keine E-Mails mehr von Redakteuren im Postfach finden lassen, wenn man gefühlt bedeutungslos wird. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum es so viele alte Fotografen gibt, die noch Workshops leiten, auf Seminaren reden und ihre Bilder auf Facebook stellen. Zum Glück komme ich aus einer Familie von Realisten und Zynikern. Meine Großmutter hatte rigoros alles verschenkt, was da war und war in ein kleines Zimmer im Haus meiner Eltern gezogen. Mein Vater machte einen sogenannten Garage-Sale und schmiss den Rest weg, auch sein ganzes Archiv, 40 Jahren Architekten-Dasein. Bei mir sieht es ähnlich aus, tausende von Dias sind bereits entsorgt und wahrscheinlich lösche ich irgendwann noch die letzten Bilder. Am Ende bleibt von unserer Zeit lediglich ein feiner Streifen mit überhöhtem Plastikanteil übrig.
Tacho kam dann doch und baute die Terrasse und die Kaktus-Rabatten samt unseren kleinen Vogelbrunnen. Der Staub machte Regula wahnsinnig, aber dann war alles fertig. Ich hatte noch einen schönen Steinturm mit Wasserfall gebaut und nun saßen wir am Morgen bei Cappuccino und schauten den Vögeln zu. Ein Mockingbird kam geflogen und balancierte gewandt auf den Steinen am Brunnen. Plötzlich gab es einen Rums und ein großer schwarzer Klumpen landete dicht am Vogel. Es gab Gefiepe, ein paar Federn flogen, und der Mockingbird sauste davon. Ein schwarzer Kater schaute uns erschrocken an und Regula schrie ihn an. Ich jagte ihm noch ein paar Steine nach, und weg war er. Nun hatten wir das nächste Problem, was wir in Oregon nicht hätten. Dort fallen alle Katzen in unserer Gegend den Luchsen und Pumas zum Opfer.
Ich fragte Edgar, ob er jemanden kennt, der eine Katzenfalle hat. Er sagte nein. Ich fragte sogar entnervt, ob er in Gewehr hätte, er sagte nein. Gift hätte er aber das wollte ich nicht. Das ist zu grausam, und zudem zu gefährlich für die Greifvögel. Ich fuhr mit dem Rad auf den Berg und verbrannte Salbei, setzte mich in eine Grube und wartete, bis der Adler zu mir sprach. Dann kam die Vision über mich und ich wusste, was ich zu tun hatte. Stimmt nicht, ich hatte die Idee im Resort von Mr. Bill als ich die stacheligen Agaven anschaute. Es waren sogenannte Berg-Agaven, die wild in der Gegend wachsen. Sie haben ungemein spitzige Blätter. Ich pflanzte also eine ganze Reihe rund um den Brunnen so dass die Katze nicht mehr lauern konnte. Und wenn sie nun springen würde, wäre es zu weit und die Vögel hätten genug Zeit zum Ausweichen. Fall gelöst, Katze lebt, aber entmachtet und Vögel munter am plantschen.
Dann, wir saßen gerade wieder beim morgendlichen Cappuccino, sagte Regula, „nun haben wir wieder ein neues Problem. Ich glaube, der Kolibri ist süchtig geworden.“ In der Tat war er schon wieder am Duschen. Er flog in einer Mordsgeschwindigkeit zum kleinen Wasserfall. Es spritzte und sein Flügelschlag surrte manisch. Er tauchte den Kopf immer wieder unter und spritzte sich voll, sauste dann wie von der Tarantel gestochen auf den nahen Ast des Ocotillo-Kaktus um dann gleich wieder ans Wasser zu fliegen. „Naja, mit gewissen Verlusten muss man rechnen”, antwortete ich und trank den Kaffee aus.
Es wird jetzt langsam Zeit, wieder nach Norden zu fahren. Oregon wartet auf uns und ich muss dort die letzten Holzhaufen abfeuern bevor die Zeit der Waldbrände kommt. Zudem wird der Prosecco knapp und, wichtiger noch, die Kaffeebohnen von unserer bevorzugten Rösterei in Montana. Wenn der Cappuccino nicht mehr stimmt wird Regula nervös und das wollen wir sicher alle nicht…
© Christian Heeb
19. April, 2021
Widmer Roger meint
Der Vermerk wegen Claudia gilt bestimmt mir , erinnere mich gut, dass wir bei ihr zu viel eingekauft hatten
Monika Widmer meint
Danke Christian für den lustigen Brief!