The Grumpy Traveler
Christian Heeb Writer/Photographer
Stories from the road without the bullshit. No, I will not tell you what my favorite bag is and my mission is not, to share the beauty of our world. I have no van, no dog and I am no digital nomad. World peace will never happen. But I hope you get some laughs and will think before you hit the road …
Traumurlaub in Italien
Warum wir nach Amalfi fuhren, ist mir noch immer nicht klar. Wahrscheinlich weil wir Italien nicht wirklich kannten und daher den Bildern in Reisemagazinen und auf Instagram erlagen oder vielleicht sogar weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass meine Karriere als Reisefotografie zu Ende war.
Eigentlich hatte ich alles fotografiert was ich wollte, hatte alle Länder bereist die ich sehen wollte und hatte keine Wunschliste mehr, aber es gab halt anscheinend doch noch so ein paar ewig gehegte, nahezu vergessene Träume welche in irgendwelchen Verließen im Kopf schlummerten. Amalfi schien so etwas zu sein.
Nun fuhr ich einen kleinen Fiat, den wir gerade am Flughafen von Neapel übernommen hatten, durch verkümmerte Viertel der italienischen Metropole, die man vorwiegend wegen ihrer Pizza kennt. Der Wagen war nicht aufgetankt, man musste das selber machen und konnte das Auto auch wieder so zurückbringen. Allerdings hieß das, dass wir am Abend um 7 noch ein Tanke finden mussten, bevor wir nach Amalfi fahren konnten. Anstatt dem Traumkulissen Charme der südlichen Riviera, fanden wir an einer Ausfallstraße eine Tanke die auch hätte im Kongo stehen können. Die Pumpe bestand aus einem Schlauch und einer rostigen Büchse, deren Innereien sich drehten wenn man die Pumpe einstellte. Aufgetankt wurde von einem halb verhungerten Bangladesch der aussah wie wenn er gerade vor 5 Minuten angeschwemmt worden wäre… Plastikabfall lag verstreut und die Luft roch nach Gummireifen, verbranntem Plastikmüll und gebratenem Hund.
Einen kurzen Moment war ich versucht, den mitgebrachten Du Mont Bildatlas Amalfi im Straßengraben zu entsorgen, musste aber den jungen Mann mit Euro in Bar bezahlen, was ich auch tat. Ich gab ihm ein Trinkgeld, um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen und wir fuhren los nach Cetara unserer ersten Station an der romantischen Steilküste von Amalfi.
Zaghaft fuhren wir unseren kleinen Fiat in den Ort hinein, Regula mit gewohnter Präzision leitete mich in eine winzige Gasse im Zentrum, welche in Richtung Hang führte. Die Einwohner der Stadt hatten anderes vor und kamen uns in geballter Menge entgegen. Es schien, die komplette Einwohnerschaft hatte sich gerade jetzt , abends um halb neun , vorgenommen an die Küste zu gehen und dort das Nachtleben auszuleben. Herden von Italienischen Männern mit rot, gelb, blauen Turnschuhen, nicht weniger bunten Hosen, braun gebrannt, eingeölt ,Gold gekettet, modische Brillen auf Halbglatze oder grauem Haar tragend, begleitet von „über“ modischen „Sophia Lorenettes“, mit nicht minder braunen, gut im Fitness Studio modellierten, auf hochhackigen goldigen Sandalen, tänzelnden Waden, kamen uns entgegen wie ein Strom Lachse auf dem Weg zu den Laichgründen.
Augen zu und durch, wie der Deutsche sagt und wir standen tatsächlich, umflutet von Menschenmassen vor einem etwa 7 Stockwerke hohen, ocker farbigen Mehrfamilienhaus mit winziger Türe, wo mir nun ein hektischer Italiener ,ins Gesicht schrie. „Pronto, pronto“ sagte er, griff einen unserer Koffer und wies mich an, den anderen zu stemmen. Wir rannten ins oberste Stockwerk. Schweiß breitete sich auf meiner Stirn aus. Koffer und Kamerarucksack schleppend schafften wir es in eine winzige Lobby im 6ten Stock, wo uns eine weitere Sophia Loren in voller Blüte einchecken konnte. „Mr. Pronto Pronto“ wies mich an, mit ihm zum Auto zu sprinten, bevor er vom italienischen Lachschwarm ergriffen und mitgeschleppt wurde.
Es dauerte 2 Tage bis wir uns von der Strapaze mental und physisch erholt hatten. „Dio grazie” wir waren in Italien und sowohl der Espresso als auch die Cappuccinos waren so gut dass wir uns schnell wieder fassen konnten. Der Ort hatte tatsächlich so einen italienischen Charme oder zumindest von dem, was man bei uns im Norden als solchen empfindet. Es war alles etwas eng, etwa voll, viel Stein und Mauerwerk, aber so ist eben in Europa. Ich tat wie wenn ich einen Grund hätte hier zu sein und fotografierte am frühen Morgen und am Abend halbherzig die Strandlandschaften. Einmal funktionierte das ganz gut und es gab eine richtig kitschige Stadtlandschaft, deren übersteigerte Wirklichkeit und kitschigen Rottöne sicher gut auf Instagram ankamen.
Dann waren wir in Positano der Traumkulisse schlechthin. Eine in die Steilküste eingebettete Traumstadt, deren Antlitz die Bildredakteure auf der ganzen Welt verblendet. Unser „vertigo esques“ Hotel, hoch oben im Hang, wurde von einem Russen betreut, der uns die Koffer gleich selber in unser Zimmer schleppte, was mein üblichen Vorurteile gegen die Gattung Russischer Mann schmelzen ließ. Der Blick vom Zimmer auf das Meer war schön, aber um die Stadt richtig zu genießen, musste man sich andere Standorte suchen. Man braucht eben einen Blick auf Positano, nicht von Positano hinaus.
Den Morgen verbrachten wir im Hotel, wo uns der Russe guten Kaffee und Cornettos servierte. Mittlerweile war er bei mir hoch geschätzt, was mich fast etwas verunsicherte.
Dann machten wir uns daran, die 2 Millionen Stufen in Richtung Meer anzugehen. Ganz weit unter uns sah ich ein paar Punkte, die sich bewegten und ein feiner weißer Schimmer schien der Strand zu sein. Als wir endlich ankamen im Hafen von Positano, gerade durch eine Enge Gasse bogen und die Promenade sich vor uns auftat, kam uns der größte Strom an Touristen entgegen seit meinem ersten traumatischen Touristen Erlebnis auf Koh Pi Pi in Thailand vor einigen Jahren. Es waren keine attraktiven Italiener, keine Sophia Loren, nicht einmal Gina Lollobrigida oder Ornella Muti Lookalikes. Nein, es waren Touristen. Leute mit Mützen, wo Heinken drauf stand. Kleine Rucksäcke mit Teddybären schleppend, Birkenstocks, Sandalen tragend, deren Hässlichkeit teilweise in Italien den Ruf nach Verboten auslöst. Sie trugen zu enge T-Shirts, wo sich schlappe oder gerichtete Busen grotesk regen, fahle weiße, picklige Beine, riesige Füße. Einige schleppten kleine Hunde oder Kinder in Kleidung, welche man dem Jugendschutz Amt melden sollte. Eine Fähre und einige Touristen Boote waren gerade gleichzeitig eingetroffen und nun strömten sie alle in die nahen Restaurants welche an der Strandpromenade lagen, wo sich die Kellner aus Italien und Osteuropa bereits gegenseitig Beruhigungstabletten zuschoben.
Einige blieben wie angewurzelt stehen, machten Selfies und blockierten den Strom welcher dann links und rechts vorbei schwappte nur um anderweitig blockiert zu werden. Hinten im Meer türmten sich Wolken auf . Es gab ein Gewitter und ich sagte zu Regula „Lass uns schnell ins Restaurant gehen, bevor die Hunnen alle Tische besetzen“. Wir schafften es gerade noch einen Tisch unter dem Dach zu ergattern, wo wir nun in typischer Schweizer Schadenfreude die Leute beobachteten, die versuchten, den Wassermengen zu entkommen. Einige waren vor uns eingetroffen und hatten sich Tische gekrallt, hatten aber die Wolken nicht wahrgenommen und saßen nun unter kleinen Sonnenschirmen ganz vorne, welche nur kurzfristig den Regen abhalten. Einige versuchten es stoisch durchzustehen. Sie dachten „es kommt gleich wieder die Sonne, wir sind in Italien“ Aber das ging nicht es regnete heftiger und irgendwann mussten sie ins innere des Restaurants fliehen.
Wir aßen eine erstaunlich gute Pizza, Vegetarian und Gnocchi Pomodoro sowie frischen Blattsalat und tranken eine Flasche Prosecco. Es war fast so eine Art Italienischer Urlaub mit Unterhaltung und eine kleine Versöhnung mit Amalfi.
Christian Heeb / 2023
Willi von Allmen meint
Diese geballte Ladung ironischen Humors, verbunden mit jeder Menge akribischen Details, und dies trotz der erlebten Perlenkette voller Hammerschläge auf eurer Hirn und Gemüt – das ist als Beschreibung absolut grossartig.
Da lerne ich tatsächlich bisher kaum bekannte Seiten von euch kennen – und was für witzige, aufmerksame, sensible, kraftvolle – das ist doch (fast) Literatur …
Herzliche Grüsse an euch,
Willi von Almen