Wie ich zu einer perfekten Aufnahme von Mickey’s Diner kam.
Auf den Auslöser zu drücken, reicht nicht, auch nicht bei vollautomatischen Kameras, die einem angeblich das Denken abnehmen. Ein gutes Foto in den Kasten zu bekommen, verlangt mehr, erinnert mich manchmal an das Zusammensetzen eines Puzzle oder das Malen eines Bildes. Viele kleine Bausteine helfen dem Fotografen, ein nahezu perfektes Foto zu komponieren.
Seit Jahren bin ich ein Fan des amerikanischen Malers Edward Hopper (1882 – 1967). Ich begeisterte mich schon für seine Bilder, bevor ich 1986 zum ersten Mal nach Amerika fuhr. Seine melancholischen Darstellungen der vereinsamten amerikanischen Metropoloen und Landschaften der US-Ostküste kamen meiner Weltanschaung und meiner Beziehung zu unserer modernen technologisierten Welt sehr nahe.
Während der Arbeit an meiner Buch-Trilogie “American Dreamscapes”, “American Nightscapes” und “American Desertscapes” wurde ich wieder stärker mit Hoppers Welt konfrontiert.
Als wir an einem Tag im September von Chicago nach St.Paul, Minnesota, unterwegs waren, beschloss ich, in St.Paul bei “Mickey’s Diner” vorbeizufahren und nachzusehen, ob er immer noch so fotogen wie vor 25 Jahren war, als ich das Lokal zum ersten Mal fotografiert hatte.
Wir trafen eine Stunde vor Sonnenuntergang in St.Paul ein und fuhren geradewegs zum Diner in der Stadtmitte. Da das Stadtzetrum im Flusstal liegt, legen sich die Schatten früher auf das Lokal als auf die Häuser bei der neogotischen Katedrale von St.Paul weiter oben.
Gegenüber vom Diner schraubte ich meine Nikon D810-Kamera aufs Stativ. Einige Kunden des um die Ecke liegenden Liquor Store kamen vorbei, wollten Geld oder beobachteten neugierig, was ich fotografierte. Cops mit ausdruckllosen Gesichtern fuhren in Streifenwagen an uns vorbei.
Da der Diner relativ lang ist und deshalb die Komposition erschwert, entschied ich mich für einen vertikalen Auschnitt und stellte mein Nikon 80-400mm Zoom auf 130 mm ein.
Was mich besonders an dem Ausschnitt faszinierte, war die Backsteinwand links hinter dem Diner. Nicht oft findet man eine Hauswand, wie man sie aus Hoppers Bildern kennt. Viele Innenstädte wurden durch gesichtslose moderne Betonbauten modernisiert.
Nachdem ich den genauen Auschnitt gewählt hatte, und das Umfeld des Diners perfekt in Szene gesetzt war, konzentrierte ich mich auf das Innenleben. Jedes Detail eine Bildes muss bis ins kleinste Detail perfekt sein. Die Ketchup-Flaschen und die Körperhaltung der Menschen sind genauso wichtig wie die Beleuchtung.
Während ich mich damit beschätigte, den passenden Auschnitt zu wählen, setzte sich ein junger Mann an den Tresen und bestellte bei der Serviertochter sein Abendessen. Ich schoss ein schnelles Bild mit f 22 und 1/6 Sec. Die Aufnahme war nahezu perfekt, nur waren die Personen durch die lange Belichtungszeit natürlich etwas unscharf widergegeben. Zudem war die Frau nicht so klassisch angezogen wie der Koch, der im Hintergrund agierte.
Da wir uns der blauen Stunde näherten, ging ich mit Regula in den Diner und erklärte dem Koch und dem Gast meine Idee. Kevin, der junge Mann, sollte sich mit der Speisekarte so hinsetzen, wie er es vor wenigen Augenblicken getan hatte. Der Koch sollte die Position der Serviererin einnehmen. Die zwei Frauen rechts sollten bleiben, wo sie waren, in der Hoffnung dass sie sich nicht bewegen würden.
Auf mein Zeichen gab Regula im Diner die Kommandos, und ich belichtete mehrere Bilder bei Blende 9 von der Straßenseite gegenüber. Eine der sieben Aufnahmen war perfekt und zeigte Kevin so, wie ich es beabsichtigt hatte. Auf einer anderen Aufnahme standen die Frauen im Hintergrund und der Koch perfekt. Im Photoshop ersetzte ich später den entsprechenden Bildteil in den Ebenen, so dass nun alle Personen vollendet inszeniert waren.
Nach der Aufnahme mit der niedrigen Blende 9 schoss ich eine weitere Aufnahme bei Blende 22, damit die Lampe im Hintergrund mit sternförmigen Strahlen wiedergegeben wurde und die Gebäude scharf erschienen. Auch diese Komponente fügte ich in den Ebenen von Photoshop ein.
Das Puzzle war zu einem perfekten Ganzen geworden, alle Teile hatten sich zu einem vollendeten Bild ohne großen Aufwand und wenig Inszenierung zusammengefügt.
Foto Blog, Christian Heeb, Bend, OR 10/30/2015